Festival: Jeinser Blues Festival 2024 – Jeinsen bei Hannover (DE)

Veröffentlicht am 24. Mai 2025 um 19:36

Drei dörfliche Spielstätten locken wieder die Blues-Fans – Unglaublich, denke ich so bei mir, als ich an meinem grünen Stellplatz Jeinser Friedhof ankomme, schon wieder zwölf Monate rum. Alles ist dort noch genauso wie bei meiner letztjährigen Abfahrt Ende Juni 2023, nur das Feld davor ist mit anderen Gewächsen bepflanzt und so habe ich einen Blick über endloses Grün bis an den Horizont.

Jeinser Blues Festival 2024 – Donnerstag 27. Juni

Ich bin wieder in Jeinsen im Calenberger Land nähe Pattensen, aber diesmal nur am Donnerstag in der evangelischen Dorfkirche Sankt Georg, ein altes Backstein-Gebäude mit komplett weißer Inneneinrichtung und imposanter großer Orgel sowie Freitag im Vierseitenhof Kleuker. Nachdem das Publikum auf den Kirchen-Bänken ihre Plätze eingenommen hatte, begrüßt der Boogie-Woogie-Meister und Veranstalter Andreas Bock die Besucher zu diesem besonderen zweiten Tag der 4-tägigen Blues-Veranstaltung. Das durchschnittliche Alter der Anwesenden ist sehr hoch, typisch für Zusammenkünfte in solchen Gebetsstätten und die wenigen jungen Zuschauer sind mir auch dieses Jahr bei allen von mir besuchten Blues-Veranstaltungen wieder sehr deutlich aufgefallen. Zusammen mit Sängerin Anja Tschenisch aus Leipzig und Niels von der Leyen (Piano) aus Berlin als Trio Woman In Blues wird das erste Drittel des Abend-Programms mitten auf dem Altar eröffnet. Wie jedes Jahr schmückte wieder ein imposantes großformatiges Bild von der lokalen Künstlerin Diane Heckert den Altar und lieferte damit den schönen Hintergrund für die Kirchen-Bühne. Das imposante 4-teilige Gemälde, wie beim Fingerabdruck, Iris oder Live-Musik ein Unikat mit besonderem Charakter, war bereits beim Festival-Debüt 2021 der markante Blickfang an den drei Stationen, Langgasthaus Jeinsen, Kirche Sankt Georg und Vierseitenhof Kleukers. Die Umsetzung zur Präsentation zwischen den drei Stationen ist logistisch nicht ganz einfach, aber das Festival-Team meisterte das wieder mit ihrem unermüdlichen Einsatz. Im Kirchenschiff ist es zu Beginn des Auftritts leise und andächtig, denn zuerst einmal singt die Gast-Sängerin Meike König, sie gastierte 2023 mit Mrs King & Her Jewels als Vollprogramm hier in dieser Kirche und spielt noch einmal heuer am Abschluss-Samstag, ein Lied ausdrucksstark Acapella. Dann spielte sich das Trio um Anja durch ein Blues-Potpourri, wobei die Sängerin mit ihrer Interpretation und mit jazzigen und souligen Akzenten den Liedern einen eigenen Charakter geben konnte. Wieder so ein junges Talent, das sich in das Rampenlicht traut und mit einer ausdrucksstarken Vorführung ihre Visitenkarte abgegeben hat. Natürlich schaffen die beiden erfahrenen Musiker, die spielen schon viele Jahre in verschiedenen Formaten zusammen, ein stabiles und tragendes Fundament mit Piano und Schlagzeug. Sie ziehen alle Register in Sachen Tempo, Dynamik, Rhythmik und führen damit die Sängerin durch das gemeinsame Programm. Zwischendrin gab es auch noch einmal eine Einlage eines Stepptänzers und den Abschluss bestreiten Anja Tschenisch und Meike König dann zusammen. Der einstündige Auftritt war sehr kurzweilig und im Nu vorbei. Am Hintereingang der Kirche treffe ich zufällig das nächste, diesmal akustische Trio mit Dobro, Schlagzeug, Harmonika, Gesang. Die The Juke Joint Smokers, die dort lässig noch mal zusammenstanden, rauchten und sich einstimmten, wurden schon verzweifelt von Andreas Bock gesucht. Nach kurzem Umbau und Einjustieren der Tontechnik geht es dann mit diesem weiteren Trio weiter. Bilder unten: Woman In Blues

Harmonika-Spieler Adam Sikora aus Polen und den italienischen Multi-Instrumentalist Luis De Cicco habe ich schon letztes Jahr bewundern dürfen. Sie bestritten mit ihren fantastischen Kurzeinlagen an zwei Tagen bei sommerlichen Wetter das Programm zwischen den Bühnenauftritten auf Kleukers Hof und sorgten damit für kontinuierliches Blues-Futter. Man hatte den Eindruck mit dem Berliner Duo The Juke Joint Smokers irgendwo in den US-Südstaaten bei einem typischen Dorffest der lokalen Rancher zu sein. Leider fehlte dieses Jahr so ein Begleit-Programm, wobei es sicher wieder sehr gut zu diesem dörflichen Festival gepasst hätte. Diesmal anderer Ort und Kulisse sowie mit dem Neapolitaner Carlo Corso am Schlagzeug als Trio. Die drei Männer spielen gut gelaunt und sehr versiert ihre akustisch geprägten Lieder, man merkt wie Publikum und Musiker immer stärker verschmelzen, interagieren, applaudieren und die Stimmung immer besser wird. Jeder im Trio darf auch mal seine Künste als Solist zeigen, begleitet durch Zwischenrufe aus der Menge und mehrmals Szenen-Applaus. Adam zeigte immer wieder Kunststücke mit der Harmonika, spielte sogar das kleine Instrument eine Zeit lang nur mit dem Mund ohne Benutzen der Hände. Seine Wangen blähen sich dabei auffällig extrem nach innen und außen wie bei einem Blasebalg. Eine wunderbare Reise zu den Wurzeln des traditionellen Blues ist im Handumdrehen vorbei, die Gemeinschaft in der Kirche ist aus dem Häuschen und eine Zugabe ist dadurch unausweichlich.

Nach einer erneuten kurzen Umbau-Pause stand dann zum dritten Mal ein Trio vorne im Rampenlicht. Und der Kontrast konnte nicht größer sein, denn die drei Damen von Rag Doll (Flickenpuppe) an Mikro, Piano und Posaune hatten nicht nur eine ungewöhnliche Instrumentierung, sondern traten auch in stilechter Kleidung vergangener Zeiten auf. Aber wer nun denkt, Amerikas klassische Musik würde die Stimmung in der würdigen Halle einschläfern, der hat die Rechnung ohne dieses Frauen-Trio gemacht. Im Gegenteil, denn der Programmablauf war wie zugeschnitten auf die Rag Doll aus Berlin. Und das sie nicht nur auf der Bühne ihre Rolle gut spielen, auch privat beim Frühstück leben sie diesen Stil aus wie mir Freunde berichteten, die mit den drei Damen im gleichen Hotel genächtigt hatten. Die Zugabe war sehr emotional, das lebensfrohe Damen-Trio, benannt nach einem bekannten Hit der 60er, spielten bei spärlichem Licht oben bei der Kirchen-Orgel gemeinsam ihr letztes Lied. Alle Zuschauer standen mit erhobenen Blick zur Empore, waren sehr leise, denn die Sängerin, begleitet von Orgel und Posaune singt ohne Mikro und gemeinsam genießen alle dieses Blues-Gebet. Allein für dieses Triptychon in der Kirche Sankt Georg hat sich für mich schon wieder die Reise zum Jeinser Blues Festival 2024 gelohnt.

Jeinser Blues Festival 2024 – Freitag 28. Juni

Aber am Freitagmorgen geht es schon wieder früh auf Kleukers Hof weiter, nicht explizit für mich, sondern besonders für die vielen unermüdlichen Helfer, die fast jedes meiner besuchten Blues-Festivals in den letzten fünf Jahren auf ihren Schultern tragen, meist mit strahlenden Gesichtern und guter Laune, genau wie hier im schönen niedersächsischen Dorf Jeinsen. Ich nutze die vielen Stunden bis zum ersten Konzert am frühen Abend um all die Kontakte, die ich letztes Jahr geknüpft hatte wieder neu aufzufrischen. Der Ablaufplan wurde kurzfristig geändert und Blues-Aushängeschild Abi Wallenstein aus Hamburg eröffnet heute. Kollege Dieter Hoscher charakterisiert ihn gut: „Blues war immer geprägt von Originalen, von Musikern, die Authentizität ausstrahlen, jeder auf seine eigene, höchstpersönliche Weise. In diesem Sinne ist Abi Wallenstein so authentisch, wie man es nur sein kann.“ An seiner Seite diesmal die Fantastics bestehend aus Andreas Bock (Schlagzeug), Niels von der Leyen (Piano), Reiner Hess (Saxofon), einen jungen Mitspieler an Akustik-Bass, die sich im Laufe des Auftritts quasi in einen Rausch spielten. Abi nach dem Auftritt: „Es war echt fantastisch mit euch.“ Besonders die vielen Gefechte zwischen Reiner und Abi hatten es in sich, Reiner bearbeitete sein Saxofon bis sein Kopf knallrot war, ich hatte Angst, dass der explodiert. Auch als sich Abi ganz entspannt spielend unter das Publikum mischte, dort mitten in der Menge den Menschen hautnah gegenüberstand, war das ein Moment für Gänsehaut. Aber insgesamt war es wieder eine kollektive Leistung von allen fünf Akteuren auf der Bühne. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, welche Konstellationen von Kollegen Andreas Bock in seinen Projekten führungsstark zusammenführt.

Auch die nächste Truppe, die als Blues Harp Break Down für die etwa 250 Gäste aufspielte, machte da keine Ausnahme. Mit Henry Heggen, Dieter Kropp und Joaco Rodriguez drei Ausnahme-Harmonikaspieler aus drei Nationen, die nicht konkurrierten sondern sich eher zu Höchstleistung anstachelten. Diesmal sind Gitarrist Jan Mohr, Pianist Marius Labsch, Bassist Dirk Vollbrecht und natürlich Andreas Bock die Rhythmusmaschinerie. Aber wie vorher bei Abi Wallenstein agiert hier nicht ein loses Projekt von Einzelmusikern, sondern dadurch, dass sich alle gut kennen, eine eingespielte Truppe von Freunden. Jeder der drei Harmonika-Artisten bekommt seine Zeit als Solist, aber sie musizieren auch gemischt. Die Stimmung bei magischen Sommerlicht steigt auf dem gesamten geräumigen Areal des Kleukers Hof, eine Sommer-Party nimmt seinen Lauf.

Nachdem der Platz auf der Bühne bei Blues Harp Break Down schon ziemlich beengt war, so sollte es mit dem 1983 gegründeten Blues-Orchester The Blues Guys & The Guinness Horns aus Hildesheim noch knapper zugehen. Denn mit den Blues Guys: Michael Fanger, Marita Eickmeyer (Gesang), Hubertus Eggeling (Gitarre), Andreas Hildenbrand (Bass), Ingo Hausherr (Schlagzeug) und den Guinness Horns: Alan Sommer (Trompete), Wilfried Rengelshausen (Tenorsaxophon), Martin Hartje (Alt-, Baritonsaxophon), Stefan Heinrich (Posaune) erinnert mich die Formation stark an die Rockhouse-Konzerte von City Blues Connection von Norbert Egger. Wer sich für die wechselvolle 40-jährige Geschichte der Hildesheimer Combo interessiert, der kann sich auf der Bandseite das Buch 30 Years of Rhythm’n’Blues and Other Minor Problems kostenlos runterladen. Zum Abschluss des Tages eine lebhafte Blues-Kapelle, die wieder ordentlich Leben in die Phalanx der Zuschauer bringt. Eigentlich meine Mucke, aber ich muss leider nach der Hälfte passen und meine Rückreise in die Heimat antreten. Resümee ist, das sich die Reise nach Jeinsen wieder gelohnt hat. Und das Besondere am Jeinser Blues Festival ist, hier treffen sich jährlich im Juni viele Blues-Künstler die sich untereinander gut kennen und musizieren hier in unterschiedlichen, oft sogar neu und spontan formierten Gruppierungen zusammen. Ich werde die Entwicklung in Jeinsen weiter beobachten und euch natürlich bei Bedarf berichten. [B_T: Roland Koch]

Info Promo – Jeinser Blues Festival 2024 – Klingender Ort bei Hannover (DE)

Künstler Donnerstag, 27. Juni 2024: 18:00: Einlass — 19:00: Begrüßung — 19:15-20:15: Woman In Blues (DE) — 20:30-21:30: The Juke Joint Smokers Featuring Carlo Corso (IT/PL) — 21:45-23:00: Rag Doll (DE)

Künstler Freitag, 28. Juni 2024: 17:00: Einlass — 19:00-20:15: Abi Wallenstein & The Fantastics (DE) — 20:30-21:45: Blues Harp Break Down (US/SP/DE) — 22:00-23:15: The Blues Guys & The Guinness Horns (DE)

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