Tragische Blues-Rock-Geschichte mit spektakulären Finale – Mein komplettes letztes Jahr stand sehr deutlich im Zeichen des Blues in allen Facetten und bei der Beschäftigung mit diesem schönen Thema kam es dutzendfach zu überraschenden Zufällen. Wobei ich eher daran glaube das es die so in dieser Dichte nicht gibt.
Eher würde ich bei Themen wie dem Buch Goin Home von Christian Much oder dem bisher unvollendeten Album Reach Out: Music For Ruth Cape von Denny Newman von Fügung sprechen. Der in Odenbach Nähe Idar-Oberstein lebende Komponist, Sänger und Gitarrist ist überraschend Ende August 2023 verstorben (wir berichteten darüber), er hat uns aber damit leider ein fast fertiges und zu diesem Zeitpunkt unveröffentlichtes Werk mit neun schönen Liedern hinterlassen. Es wäre sehr schade gewesen darauf zu verzichten, denn damit wäre nicht nur sehr viel Arbeit nicht gewürdigt worden, sondern großartige Kompositionen hätten nicht die Ohren von Hörern gefunden. Aber sein Sohn Scott Newman und sein Freund John Lingwood, beide spielen bei diesem Album eine gewichtige Rolle und auch Instrumente, haben es geschafft Reach Out: Music For Ruth Cape in die Musikwelt zu bringen. Die beiden Titel Cold Cold Love und Runaway Train waren ja schon 2023 als Appetithappen auf einer bekannten digitalen Video-Plattform zu bewundern. Beide 5-minütigen Filmchen sind unspektakulär inszeniert, reduziert auf das wesentliche, gerade dadurch entfaltet sich die Musik von Denny Newman noch intensiver. Beim ersten anhören war ich damals sofort von seiner Musik begeistert, die Gänsehaut-Ballade Cold Cold Love im gesanglichen Duo zusammen mit der in Portugal lebenden Vokalistin Caroline Dawson hat mich sofort regelrecht gefesselt. Und das ist nach circa 100 Durchläufen immer noch so. Auch deshalb habe ich mich auch so sehr bemüht, diesen emotionalen Titel für unsere erste Schwerpunkt-CD Blues zu bekommen, hat ja auch geklappt.
Die drei oben genannten tragenden Säulen des Albums wurden unterstützt von zahllosen Kollegen. Hier ist nicht nur der langjährige Freund Max Middleton (Hummingbird, Jeff Beck Group, Snowy White & The White Flames) an den Tasten zu erwähnen, sondern es halfen an jedem Instrument erfahrene Musiker mit, Leben in diese bluesigen Lieder zu bekommen. Und nun sind alle neun Lieder des 50-minütigen Album Reach Out: Music For Ruth Cape am 19. Januar 2024 endlich zuerst einmal digital veröffentlicht worden. Bei der Betrachtung der Informationen des mir vorliegenden 8-seitigen Büchlein wird deutlich, dass praktisch das gesamte Material aus den Federn von Denny & Scott Newman stammt sowie dem Tausendsassa John Lingwood. Im weiteren Text werde ich nun die neun Titel mal versuchen zu beschreiben und weitere Informationen dazu zu liefern. Denny hat das Album seiner Großmutter mütterlicherseits gewidmet. Und auf dem Frontcover kann man tatsächlich die Ähnlichkeit zwischen Ruth Cape und Denny über drei Generationen hinweg erahnen. Es wird auch noch ein Frederick Osmund erwähnt, über ihn habe ich keine Informationen und möchte auch nicht Mutmaßen.
Und das neunteilige Album startet mit Big Wheels, einem klassischen Blues-Rocker der genauso auch schon Ende der 60er eingespielt hätte sein können. Sehr stark die geschichteten Gesangsteile und die singende Gitarre von Denny. Im gleichen Stil geht es mit dem bereits erwähnten Runaway Train weiter. Natürlich erinnern mich bereits diese zwei Stücke an viele Helden des elektrischen Blues, einige davon haben mit solcher Musik wahre Erfolgsgeschichten geschrieben. Denny macht es genauso gut und atemberaubend intensiv. Schon mit dem dritten, sehr gut von John Lingwood produzierten und mit fantastischen vokalen Elementen gestützten Titel The Letter (Telegram To Monica), ist man bereits tief in der musikalischen Geschichte von Denny Newman angekommen und freut sich auf den nächsten Song Reach Out. Ich habe immer wieder beim Gesang von Denny das Gefühl, diese Stimme kennst du doch irgendwie schon. Ja, und das Gitarrenspiel auch. Nicht falsch verstehen, hier wird nicht kopiert oder mit schon bekannten gelockt, sondern das ist die ureigene Handschrift von Denny Newman. Warum sollte er sich auch verstellen oder jemanden nacheifern, seine Musik ist so wie sie ist, intensiv und sehr gut hör- und genießbar. Reach Out startet mit einer dezenten Piano-Melodie, untermalt von Vogelgezwitscher und Kirchenglocken, nimmt mit erneut wunderbaren Gesang, wieder durch mehrere Stimmen voluminös gestützt, stetig Fahrt auf und führt nach knapp fünf Minuten zu einem emotionalen Gitarrensolo. Erst mal durchatmen, mit Climbing The Ladder und dem darauffolgenden Man On Ice hat der Hörer nun Gelegenheit. Beide Stücke sind natürlich wieder getragen von Denny’s schönen, variantenreichen Gesang. Die passende Instrumentierung und wieder einmal die Tupfer von Gesangsschnipseln der anderen Stimmen; Schlagzeugerin Mim Grey, Caroline Dawson, Helen Hardy, Sohn und Bass-Spieler Scott Newman; machen ein Übriges um die Spannung und das Niveau zu halten. Über die Ballade Cold Cold Love habe ich ja schon einiges gesagt, hier bärenstark Caroline Dawson im Dialog mit Denny. Und die Gänsehaut klingt gerade ab, da wird man sofort wieder in einen weiteren emotionalen diesmal 10-minütigen Song Barbed Wire/Seventeen förmlich hineingezogen, zuletzt mit bärenstarken Ausklang von Denny (Gesang) und John (Piano) im Duett. Und zuletzt mit Over Between Us ein stampfenden Blues-Boogie zum Abschluss, so endet die Newman-Blues-Show rockig wie sie begonnen hat. Hier sehr stark die Mundharmonika von Albert Koch. An dieser Stelle noch einmal der Hinweis, das Sohn Scott Newman und auch besonders Denny’s Freund John Lingwood (Schlagzeuger Manfred Mann’s Earth Band, 2023 beim Herzberg Festival aufgetreten) einen großen Anteil an diesem schönen Blues-Werk haben.
Wie ich bereits sagte, es wäre schade gewesen, wenn dieses fünfte Solo-Programm von Denny Newman nicht zu den Musik-Fans gefunden hätte, ich sage hier ausdrücklich nicht Blues-Fans. Wir haben Denny’s gesamte Karriere ja schon ausführlich gewürdigt (siehe Empire Heft 153), deshalb möchte ich darauf nicht noch einmal im Detail eingehen. Aber man merkt Reach Out: Music For Ruth Cape an, das hier ein lebenserfahrener Musiker damit für sich ein sehr deutliches Zeichen setzen wollte und gesetzt hat. Keine großen Experimente, pure, leidenschaftliche Musik die in ihrer reduzierten Darbietung äußerst starke Wirkung erzeugt. Und war das nicht bei vielen großen Stars des Blues in den letzten 100 Jahren nicht oft ebenso. Ich könnte jetzt mehrere Dutzende Beispiele geben, aber ich verweise zum dritten Mal auf unsere erste Schwerpunkt-CD Blues. Dort haben recht unbekannte Musiker, für mich aber ebenfalls Stars des Blues, ihre deutlichen und unterschiedlichen Duftmarken hinterlassen. Reach Out: Music For Ruth Cape, neun wunderbare, sehr emotionale Lieder, die von einem bekannteren Blues-Man als Denny Newman veröffentlicht, mit Leichtigkeit die Hitlisten ins Visier genommen hätten. Mich hat dieses Album an vielen Stellen sehr berührt. Das ist nicht nur dieser garstigen, unheilvollen Zeit geschuldet, wie damals auch zurzeit von Ruth Cape, sondern vor allem das Denny viele seiner Gefühle und Gedanken in dieses Liedgut gepackt hat und damit viele andere Menschen nun beim Hören mit Denny in Resonanz kommen. Aber ist das nicht auch eine der grundsätzlichen Ziele des Blues ?? Auch wenn ich es Denny nicht mehr persönlich sagen kann, so kann ich es hiermit in seinem Namen sagen: Ein wunderschönes Album in Gänze, Musik und Texte die beeindrucken, die Gefühle auslösen und die den Hörer mit dir in Resonanz bringen. Ein schöneres Vermächtnis gibt es kaum, danke Denny Newman und alle deine Mitreisenden auf dem Runaway Train. Ich höre gerade wieder das Signalhorn der Lokomotive im Fade-Out von Barbed Wire/Seventeen, ein fantastisches Stück Bluesmusik. Auch wenn ihr keine Blues-Fans sein solltet, hört euch diese Musik an und wenn ihr tatsächlich noch lebendig seid, werdet ihr es auch spüren, großes Versprechen. [T: Roland Koch, B: Promo]

Reach Out: Music For Ruth Cape
- Big Wheels 04:31
- Runaway Train 05:42
- The Letter (Telegram To Monica) 05:38
- Reach Out 06:45
- Climbing The Ladder 05:26
- Man On Ice 04:08
- Cold, Cold, Love 04:44
- Barbed Wire/Seventeen 09:36
- Over Between Us 03:37
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