Il RDM mit einer neuen zweisprachigen Vertonung der Bibel – Unser Italo-Experte Bodo Kubatzki hat ja zuletzt 2021 ausführlich über das besondere 2 DAYS PROG + 1 Festival (TDPP1: Edizione Made in Italy) in Veruno, Piemont berichtet und hat Il Rovescio Della Medaglia (RDM), Urgestein des italienischen Prog-Rock, in seinem Beitrag auch ausführlich und ordentlich gewürdigt.
Dort Anfang September 2021 hatte die aktuelle Truppe um Gitarrist Enzo Vita einen Zwei-Satz-Spiel am Samstag und Sonntag. Zur frühen Geschichte: Enzo, Stefano Urso (Bass) und Gino Campoli (Schlagzeug) spielten Ende der 60iger in Roma zusammen in einer Beatband, gründeten dann Rovescio Della Medaglia in der zweiten Hälfte 1970. Mit wechselnden Frontsängern, zuletzt Pino Ballarini (auch Flöten, Perkussion), entstand das Debüt La Bibbia (1971, Thema: Bibel) und der Nachfolger Io Come Io (1972, Thema: Friedrich Hegel). Beide Alben waren noch stark vom harten Rock beeinflusst, ohne Keyboards brachte ihnen das den Ruf als italienische Black Sabbath ein. Erst mit dem Einstieg von Franco Di Sabatino (Keyboards), späterer Edelhelfer von Angelo Branduardi und Zusammenarbeit mit dem argentinischen Pianisten, Komponisten, Dirigent und Arrangeur Luis Bacalov, verwandelten sich die klassischen Rocker zu einer echten symphonischen Progressive-Rock-Band. Der Drittling Contaminazione (1973) basiert in Teilen auf dem Wohltemperiertem Klavier (Johann Sebastian Bach) und wurde als Contamination zwei Jahre später auch englischsprachig veröffentlicht. Bei den beiden Auftritten in Veruno beim 2 DAYS PROG + 1 (TDPP1) wurde fast ausschließlich Material aus der vorher dargestellten Phase präsentiert.
Das meisterliche Debüt The Bible, wurde 1971 von den Autodidakten Enzo Vita, auch Liebhaber handgefertigter italienischer Gitarren, und Stefano Urso gerüchteweise in nur circa vier Tagen komponiert und in etwa zwei Stunden in einem Wutausbruch praktisch als Live-Aufnahme aufgenommen. Solche Geschichten glaubt man, wenn man diese historische Periode selbst erlebt hat, eine Zeit die man als Urknall der Rockmusik bezeichnen kann. Massenhaft wurden märchenhafte Szenarien erschaffen, psychedelische Geschichten erzählt, die Entwicklung beim Instrumentarium war atemberaubend und die daraus resultierende Explosion an Kreativität und Schaffenskraft ungeheuerlich. Und besonders auch in Italien fiel der progressive Samen auf fruchtbaren Boden, der wurde ja schon seit Jahrhunderten gepflegt und bestellt. RDM wussten sehr genau, welchen Weg sie mit ihrem guten Material gehen mussten. Enzo und seine musikalischen Weggefährten waren entschlossen und sicher etwas Meisterliches zu schaffen. Und das haben sie tatsächlich, auch wenn im deutschsprachigen Raum das kaum einer gemerkt hat. Der Kreis schließt sich jetzt nach 50 Jahren mit den jetzigen Weggefährten die auch beim inzwischen sehr bekannten Festival am Lago Maggiore im Piemont groß aufspielten, Andrea Castelli (Basso), Nicola Costanti (Cantore, Tastiera), Davide Pepi (Chitarra, Secondo Cantore), Marco Pisaneschi (Batteria) und Enzo (Chitarra).
La Bibbia: 50th Anniversary ist beim italienischen Hard & Heavy Label Jolly Roger Records am 29. Oktober 2021 erschienen. Im Anfang war die Erde wüst & leer und es war das Wort. Und dieses Wort wurde 1971 in Musik gewandelt und jetzt mit dem Prolog Nothingness (Il Nulla) neu und modern interpretiert. Bei La Creazione bricht sich die Schönheit der Schöpfung bahn: Sonne & Licht, Mond & Sterne, Fauna & Flora, am Schluss schließlich der Mensch. Und dann bei L’Ammonimento werden sie gewarnt, sich an die Gesetze Gottes zu halten. Und so geht es weiter durch alle Tage der Schöpfung, das sündige Leben am Höhepunkt mit dem rockigen Sodoma XY, fast jeder Weltbürger kennt diese Story in irgendeiner Form. Die Instrumentierung ist immer an die sich entwickelnde, auch in der Bibel niedergeschriebene Geschichte, angepasst. Den aktuellen RDM-Sound der La Bibbia Reloaded mit Black Sabbath der 70iger zu vergleichen, ist natürlich völlig unpassend. In 50 Jahren ist in der Musikwelt viel passiert, eine Menge Gletscherwasser über den Po in die Adria geflossen. Und das hört man deutlich, zeitgemäßer italienischer Prog wie die meisten ihn kennen und lieben: viel Wärme, Dramatik & Bombast, verspielte, vielschichtige Rhythmen und Klänge. Alles (bellissimo) in eben dieser wunderbaren Sprache voluminös vorgetragen. Das Werk hat sechs Kapitel, präsentiert in knapp 33 Minuten. Dazu kommen noch 20-minütig die drei sehr schönen englischsprachigen Boni The Creation (La Creazione) The Warning (L’Ammonimento) Judgement Day (Il Giudizio) die nahtlos in das Gesamtkonzept des biblischen Albums passen. Diese sind jedoch nur auf der CD als Bonus-Tracks zu finden. Ich bin sehr begeistert von diesem römischen Werk. Ob diese Wiederauflage La Bibbia von Enzo Vita als Konzept so zeitgenau passend geplant war, weiß ich nicht. Aber eventuell ist Bodo Kubatzki demnächst einmal wieder in Italien (wie gerade jetzt, 05-2025), dann kann er den römischen Gitarren-Meister dazu vielleicht direkt mal befragen. Aber auch Enzo wird die Zeichen der Zeit, damit ist nicht nur das Bergamo-Desaster gemeint, erkannt haben, und uns vielleicht noch einmal mit seinem Werk zum Besinnen auffordern wollen. Für mich ist das kein Zufall. Il Diluvio hat Bezug zur Sintflut, die haben wir 2021 dutzendfach weltweit gehabt und darüber wurde bis heute tausendfach berichtet (und wir sind 05-2025 sehr viel näher am Abgrund). Einhalten von Regeln und Mitmenschlichkeit werden nun noch wichtiger. Ernste Themen, wir selbst haben aber die nahe & ferne Zukunft noch in eigenen Händen. [Roland Koch]
CD-Titelliste mit Bonus: 01-1. Nothingness (Il Nulla) 03:07, 02-1. La Creazione 06:26, 03-1. L’Ammonimento 05:52, 04-1. Sodoma XY 04:27, 05-1. Il Giudizio 07:55, 06-1. The Great Flood (Il Diluvio) 04:11, 01-2. The Creation, 02-2. The Warning, 03-2. Judgement Day.
Besetzung: Enzo Vita – Gitarre (TDPP1), Andrea Castelli – Bass (TDPP1), Nicola Costanti – Gesang, Keyboards (TDPP1), Davide Pepi – Gitarre, Back-Gesang, Marco Pisaneschi – Schlagzeug (TDPP1). [Roland Koch]
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