Blues-Therapeuten gegen seelisches Unwohlsein jeglicher Art – Wir sind zurzeit im Gutshaus Stellshagen zwischen Grevesmühlen und Klütz, haben in den letzten Jahren regelmäßig vom Blue Wave Festival Binz berichtet, somit wissen viele schon etwas über diese 4-tägige Veranstaltung, die nun diesjährig vom 12. bis 15. Juni in die Runde 27. gegangen ist.
Um es gleich vorweg zu nehmen, wieder eine gute Weiterentwicklung zum Vorjahr und ohne Einschränkungen das spektakulärste Sommer-Blues-Festival an den Küsten Deutschlands. Das Wetter war Jahreszeitbedingt sommerlich, angenehm und stabil. Etwas Wind am Freitag, kein Sturm oder Regen. Alle Freiluftveranstaltungen, immerhin dreizehn, fanden vor gutem Besuch und bei ausnahmslos gutem Wetter statt. Das neu eingeführte morgendliche Wachtrommeln mit Festival-Kurator und Blues-Drahtzieher Micha Maass auf dem Kurplatz wurde rege angenommen, einige Trommler hatten sogar eigene Schlagzeugstöcke mitgebracht !! Wie gewohnt wurde aber bereits Donnerstagabend eröffnet, es spielt bei besonderer Atmosphäre in der historischen Bahnhofshalle des Binzer Bahnhofs (Rasende Roland, Ortseingang aus Richtung Putbus, Bäder Süd) diesmal das taufrische Berliner Quartett The Midnight Shakers auf. Angela Cory (Gesang, Saxofon) und ihre drei Jungs an Gitarre, Bass (Norman Winkler) und Schlagzeug (Andrzej Kownacki) haben bei ausverkauften Haus die Besucher mit ihrem Mix aus Klassikern und Eigenkompositionen ordentlich auf Trapp gehalten, es wurde sogar getanzt. Gitarrist Doc Jakob Deider war auch die komplette Woche im anschließenden Jubiläums-Blues-Camp Nonstop in Göhren voll im Einsatz. Ein sehr schöner Beginn der Blues-Festspiele mit zeitlosen Blues und Pfeifentönen von der Kult-Lok Rasender Roland, die Weichen sind damit sinnbildlich auf gute Laune gestellt. Freitagmittags waren wir zum ersten Mal und rechtzeitig am Schmachter See, immer Treff- und Startpunkt der beliebten Straßen-Parade, diesmal mit der VENUSMarsBRASS. Die haben namentlich nichts mit Micha Maass zutun, werden ja auch anders geschrieben. Die überwiegend Venus-Damen-Mannschaft, die spielen auch noch einmal am Samstagmorgen nähe Seebrücke, in ihren roten Uniformen sortierten sich schnell um das Golden-Girl, der energiegeladenen Mutter der Kompanie Marina Panke. Dann das Orchester als Spitze vor den Mitläufern des mindestens einhundert Meter langen meerblauen Blue-Wave-Banner, wurde dem Publikum in der Fußgängerzone ordentlich der „Marsch geblasen“. An allen Geschäften und Trauben von Einkaufsbummlern vorbei, auch durch den Eingangsbereich vom Hotel Loev, bis zum Platz vor der imposanten Seebrücke. Dort spielte das Trio Superblues 3000, bestehend aus der indonesisch-niederländischen Organistin Yasmin Hadisubrata, Gitarrist und Sänger Ron Spielman und Michael Dau (Schlagzeug, Perkussion), ab 22:00 Uhr ein fulminantes Clubkonzert. Kurz durchgeatmet und weiter zum Hauptschauplatz auf dem Platz vor dem Kurhaus. Man hatte aus den Wetterkapriolen gelernt, das Berliner Trio The Wake Woods mussten ja ihren Auftritt 2024 urplötzlich abbrechen, und diesmal die meerseitige Bühnen-Muschel umgebaut zum sicheren überdachten Spielstätte für die Musiker. Bilder unten L_R: Treptow, Harlem Lake, VENUSMarsBRASS
Und gleich die erste Formation war ein wahrer Volltreffer. Wir hatten die deutsch-amerikanische Sängerin und Pianistin Caro Kelley aus München und ihre vier Mitmusiker schon beim Aufbau und Einspielen beobachtet. Alle fünf Musiker an Schlagzeug, E-Piano, Bass, Gitarre, Saxofon agierten fast in einer Reihe auf gleicher Höhe. Somit hatten die Zuschauer immer gute Sicht bei jedem Solisten. Die modernen teils autobiografischen Lieder stammten hauptsächlich vom Debüt Playroom (2022) und dem Nachfolger Quiet (2025, Rezension kommt demnächst) und sie wurden mit kleinen Geschichten von Caro angekündigt und brillant vorgetragen. Die Verbindung zwischen Zuschauern und der jungen Band wurde im Laufe des Vortrags stetig stärker und mehrmaliger Szenenapplaus zeigte deutlich diese Qualität. Von dieser Truppe können wir noch einiges erwarten, das ist sicher. Szenenwechsel: der erfahrene, mit Preisen überhäufte, westfälische Gitarrist und Sänger Kai Strauss gehört zur Blues-Champions-League, ist mit seinen The Electric Blues Allstars ein Sahneteilchen in der europäischen Blues-Szene. Er brachte drei internationale Helfer an Keyboards (Paul Jobson, UK), Trommeln (Henri Jerratsch, DE), Bass (Kevin DuVernay, US) mit, die erst einmal kraftvoll eröffneten. Dann betrat Kai die Bühne und zog mit seiner Stimme, Gitarre und Persönlichkeit sofort das Publikum in seinen Bann. Seine Musik deckt fast alle Facetten des Blues-Rock ab und die Präzision an der 6-Saitigen ist atemberaubend. Selbst als er grinsend die Gitarre tauschte und fragte ob jemand im Publikum eine Saite wechseln könnte ging nichts von seiner Gelassenheit verloren. Beim nächsten Lied ging seine Band in den Session-Modus und der gut gelaunte Kai nutzte die Chance die Saite auf der Bühne schnell selbst zu wechseln. Schwerstarbeit mit Händen und Zähnen, endlich gestimmt nahm der Blues-Express unter dem tobenden Applaus wieder mehr Fahrt auf. Schon der dritte Treffer ins schwarze Zentrum und mit dem sehr erfahrenen, modernen, deutschsprachigen Rock-Duo Treptow aus Berlin, besteht aus Philipp Taubert (Gesang, Gitarre, Harmonika) und Lukas Lindner (Schlagzeug, Perkussion, Gesang), wurde ein weiterer Volltreffer gelandet. Scharen von jungen Leuten waren aus Berlin und Umgebung angereist, um mit diesem Alternativ-Rock-Duo (Gründung und Debüt 2017) gemeinsam durchzustarten in andere Sphären. Ein energiegeladener Auftritt ohne Playback, Einspieler, aber mit purer Energie, Spielwut und Humor sind Markenzeichen von der kraftvollen Truppe Treptow. Die Menschenschlange vor dem Merchandise ging von der Bühnenmuschel bis zum Kurhaus. Großartig abgeliefert, läuft !! Ab 22:00 Uhr im Foyer Hotel Loev (SuperBlues 3000, siehe vorher) und Villa Salve (MadeMyDay Session Band) zwei Club-Konzerte die dieses Prädikat wahrlich verdienen. Das Quintett MadeMyDay widmete sich unter anderem instrumentalen Klassikern des Blues & Soul, aber nicht nur. Melodielinien werden von Orgel & Klavier (Matthias Falkenau) oder Gitarre (Jan Hirte) übernommen. Für das Fundament sorgen Carlos Dalelane aus Mozambik (Bass) und Igor Prahin aus Rumänien (Schlagzeug), internationaler geht es fast nicht mehr. Für den Frontgesang sorgt der quirlige spanische Paradiesvogel Txako Jones, purer Frauenpower mit einer Stimme, die vieles zum Schmelzen bringt. Es ging bis 04:00 Uhr erzählt mir Jan am nächsten Tag mit Sehschlitzen, viele Musiker spielten auf der winzigen Bühne, doppelt so groß wie ein Kontrabass, auf. Auch hier ist unsere Aussage keine Theorie, sondern real Erlebtes, tanzbares Blues-Feuerwerk nonstop. Bild-Serie unten: 1. Strassen-Parade VENUSMarsBRASS, 2. Caro Kelley & Band, 3. Kai Strauss & The Electric Blues Allstars, 4. Treptow
Das junge Quartett The See See Riders aus Bamberg ist eine echte bayrische Blues-Wundertüte. Man weiß nie wer kommt, mit welchem Programm oder Instrumentarium. Was wir sicher sagen können, sie haben am Samstagmittag auf dem Kurplatz gespielt und die Stimmung war ähnlich wie am Vortag bei Caro Kelley & Band. Musikalische Themenvielfalt eingebettet in die Stile-Vielfalt des frühen ruralen und urbanen Blues, Folk, Rag und Swing, alles verfeinert mit den ureigenen fränkischen Zutaten. Eine Formation, die jedes Publikum, egal wie groß oder zusammengesetzt, mitnimmt auf eine gemeinsame Reise, handgemachte American-Roots-Music von jungen, ausgezeichneten deutschen Blues-Fachleuten. Die Vario-Band wurde ursprünglich von Rebekka „Bekki“ Wagner (Violine, Gesang) und Armano Persau (Gesang, Gitarre) als Duo gegründet. 2017 das selbstbetitelte Debüt, Februar 2021 dann Sinister Swing, nun aktuell Having Fun With The See See Riders (2025). Der Titel bestätigt das bereits gesagte. Mit Stephan Goldbach (Kontrabass, Gesang) und Benjamin Lojak (Resonator & Slide-Gitarre, Gesang) erweiterte man sich zur klassischen mehrstimmigen String-Band. Nicht oft ist so ein lebendiges Ensemble Live in Ton & Farbe zu erleben. Am Samstag 14:00 Uhr war vor der Bühne schon richtig Stimmung und es wurde kollektiv das Leben gefeiert !! Szenenwechsel: die niederländische Formation Harlem Lake ist durch ihre zeitgemäße, genreübergreifende Mixtur aus Rock, Americana, Soul und Blues bekannt geworden. Prägende Figuren dieser Band sind der Gründer und Organist Dave Warmerdam und die langjährige Front-Vokalistin und Komponistin Janne Timmer (2018-2024, nun Solo). Deren zeitlosen vokalen Klangbilder sind von Authentizität und emotionaler Tiefe durchdrungen, ziehen damit die Zuschauer in den Bann. Seit ihrer Gründung 2017 hat die Band besonders mit ihren kraftvollen Live-Auftritten und ihrer einzigartigen Fähigkeit, Genres zu mischen, eine treue Fangemeinde in Europa aufgebaut. Wir haben es auch schon einmal miterlebt wie Harlem Lake aus einer Melange aus souligem Blues, Erzählkunst des Americana, rohen Energie des Rock und mittels bärenstarkem Einsatz ihrer Instrumente eine intime und dennoch verbindende Atmosphäre schaffen (wir berichteten vom Woodstock Forever 2024). Angetrieben von einem tiefen Engagement für ehrlichen künstlerischen Ausdruck kreieren Ashley De Jong , die neue Sängerin, Dave Warmerdam (Keyboards), Sonny Van Den Berg (Gitarre), Kjelt Ostendorf (Bass), Benjamin Torbijn (Schlagzeug) Musik im Themenbereich Authentizität, Verbundenheit und Selbstdarstellung, wobei ein besonderer Schwerpunkt darauf liegt, Tabus zu brechen und die Freiheit der Identität zu fördern. Nachdenken ist erlaubt, aber die tragende Säule ist die intensive Musik dieser Truppe aus dem Nachbarland. Bild-Serie unten: 1. The See See Riders, 2. Harlem Lake, 3. The Wake Woods
Nach dem Berliner Duo Treptow vom Vorabend wird mit einem Trio aus der Nachbarschaft in Berlin noch eine volle Schüppe draufgelegt. Der Festivalleiter Micha Maass wies vorab die Zuschauer darauf hin, dass nun auch die „Head-Banger“ auf ihre Kosten kommen werden. Der Bandname ist die englische Adaption des Familiennamens der Mutter Wachholz. Das junge, wilde Berliner Rock-Trio mit dreistimmigen Gesang, Ingo Siara (Bass), Helge Siara (Gitarre, Harmonika) und der „Neue“ Merlin Niklasch (Schlagzeug), hatten leider als einzige Band des Blue Wave 2024 etwas Pech mit dem Wettergott, mussten ihren Auftritt abrupt 2-mal abbrechen. Sie wurden aber direkt für 2025 wieder eingeladen und stehen nun erneut in Kampfmontur und Gerätschaften bereit. Wir waren leider beim Aufritt der The Wake Woods auf der Berliner Waldbühne nicht dabei, aber, wenn die drei den Aufschlagball auch so hart gespielt haben wie hier in Binz, war es sicher für die Legende The Who schwer, den Spielball damals ordentlich zu retournieren. Inzwischen gibt es einige Titel dieses Auftritts Waldbühne auf Vinyl als Berlin Bang (2024). Geplant war, so die Aussage der drei Musiker, dass sie hier in Binz viel von ihrem aktuellen Studio-Werk Treselectrica (2022) zum Besten geben wollten. Das konnten sie dieses Jahr nachholen. Die drei Berliner Rocker sind inzwischen fleißig europaweit unterwegs, hauen den Zuschauern ihr Repertoire aus hartem Blues bis alternativen Rock frisch und leichthändig um die Ohren. Einige Besucher forderten: „Mehr, lauter, schneller.“ Und die The Wake Woods grinsten, drehten ihre Pegel höher und lieferten was gewünscht wurde. Hoffentlich auch beim diesjährigen Woodstock Forever Festival in Thüringen, da sind wir auch dabei. Wachholz-Debütant Merlin Niklasch hat es fantastisch gemacht, die Techniker waren, besonders bei Take The Money And Run, permanent mit Klebebandrollen unterwegs um das Trommel-Equipment auf dem fast berstenden Podest festzukleben. Das ist Rock’n’Roll pur, was wir auch Merlin‘s Eltern sagten, die berechtigt sehr stolz auf ihn waren. Der Schmelztiegel Berlin scheint ein unerschöpfliches Potential auch an interessanten, professionellen Blues-orientierten Formationen zu haben. Fast die Hälfte der diesjährigen Künstler haben immerhin ihre Basis in der Bundeshauptstadt. Drei Bands traten ab 22:00 Uhr parallel vor das Binzer Club-Publikum: das Trio Mojo Wranglers um den niederländische Trommler Marcel Van Cleef im Braugasthaus Dolden Mädel, Kontra-Bassist Klaas Wendling, international bekannt von The Baseballs und der charismatischste Bostoner Mundharmonika-Spieler und Blues-Sänger Keith Dunn als Duo in der MeerBar sowie die zweite Runde mit dem Quintett MadeMyDay. Die Sehschlitze von Jan Hirte wurden noch viel kleiner !!
Der in Victoria auf dem wunderschönen Vancouver-Island geborene Dave Goodman; Komponist, Gitarrist, Sänger, Bandleiter, Produzent, Lehrer, Dozent, Techniker, Entwickler; wird nicht grundlos oftmals als musikalisches Chamäleon beschrieben und ist ein wahres Multi-Talent. Er hat gefühlt schon im Bauch seiner Mutter musiziert, früh Geige und Gitarre erlernt, seit Jahrzehnten mit großartigen Lehrern und Musikern weltweit auf jedem Kontinent zusammengearbeitet und nun kann er alles jemals erlernte sowie seine vielfältigen Erfahrungen weitergeben an andere Musiker, Schüler und Publikum. 1998 wechselte er vom sonnigen Kalifornien in die kühle Hansestadt Bremen und hat wie jenseits des Atlantik auch hier in Europa für Furore gesorgt. Ohne zu dick aufzutragen kann man sagen, die faszinierende Kombination aus umwerfend schönem Gitarrenspiel mit phänomenaler Fingerfertigkeit auf Weltklasseniveau, die zeitlosen, facettenreichen Kompositionen sowie auch seine vielfältige Menschen-Arbeit haben ihn zu einem weltweit geschätzten Musiker und Spielpartner gemacht. Er gab am Festival-Sonntag seine Virtuosität Solo zum Besten und jeder Besucher, der nur über einen Hauch von Musikalität verfügt, kam auf seine Kosten. Da Dave noch die komplette Woche im Blues Camp Göhren gastierte, hatten wir das Vergnügen, ihn noch vielfach in verschieden Formaten zu erleben. Abschluss des 4-tägigen Blue Wave war ein weiterer Auftritt von Keith Dunn und Klaas Wendling. Unterstützt wurden die beiden von Micha Maass (Schlagzeug), Jan Hirte (Gitarre) und Vokalistin Txako Jones. Diese Formation spielte auch die Eröffnung des diesjährigen Blues Camps. Premium-Blues an zwei Weltklasse-Schauplätzen. Fazit: Dieses europaweit einmalige Format geht vom 11. bis 14. Juni 2026 in die 28. Runde. Leider hat uns Micha noch nicht in seine Karten schauen lassen, aber so viel darf gesagt werden: Wer als Blues-Fan nicht dabei ist, den bestraft das Leben !! Bild-Serie oben: 1. Dave Goodman, 2. Session. [B: Christa, T: Roland Koch]
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