Konzert: Micha Maass Boogie Circus – Feldsteinkirche Dolgelin (DE_BB)

Veröffentlicht am 23. Oktober 2025 um 14:43

Blues verbindet wieder einmal Ost und West – Auch fast sieben Stunden Fahrt in den Oderbruch nach Seelow konnten uns nicht davon abhalten diesem schönen Blues-Format beizuwohnen. Und was ist schon so eine „kurze“ Anfahrt, wenn der Veranstalter Live In Reitwein e.V. keine Zeit, Mühen und Kosten gescheut hat.

Wolle & Rossi haben eine fast vierstündige Blues-Revue einen Tag nach der Deutschen Einheit organisiert bekommen, durchgeführt in der historischen Feldsteinkirche Dolgelin. Für uns war es schon immer etwas Besonderes, wenn Ost und West mit Musik bei Konzerten oder Festivals zusammentrafen. Wir haben das oft erlebt und stellvertretend dafür erwähnen wir hier das legendäre Treffen in der Dortmunder Westfalenhalle am 08. Dezember 1978. Mit City (spielte auch 20-minütig Am Fenster) und Grobschnitt (spielte auch 60-minütig Solar Music) treffen sich zwei der großartigsten deutschen Band-Legenden auf Augenhöhe. Als wir in die Kreisstadt Seelow ein/ausfuhren wurden wir sogar mit großen Werbe-Bannern als Werbung für die Veranstaltung überrascht. Großes Lob an die beiden Gründer des Vereins, Wolfgang Conrad und Thomas Rosslau, für diese gute Organisation der Veranstaltung Live in Reitwein #129. Nachfolgend aber erst einmal etwas deutsche Geschichte zu Dolgelin in Märkisch-Oderland, Brandenburg und die Verknüpfung zur Kultur.

Das günstig liegende Siedlungsgebiet des heutigen Dolgelin am Westrand des Oderbruches wurde seit Bronze- und Eisenzeit besiedelt, auch später von den Slawen und ist eines der ältesten Höhendörfer dieser Region. Die urkundlich belegbare wechselhafte Geschichte des Angerdorfes (Gebäude um einen zentralen Platz, meist mit Weiher) Dolgelin und der Feldsteinkirche geht zurück bis in das 13. Jahrhundert. Während der Schlacht um die Seelower Höhen im April 1945 wurden Dorf mit Kirche sehr stark verwüstet, der Kirchturm der Ruine wurde 1965 sogar gesprengt. Für den Wiederaufbau der Kirche setzte sich ein Förderverein ein, der 2018/19 der Ruine ein neues Dach annähernd in ursprünglicher Form verpasste. Weitere Arbeiten folgten, sodass dieses historische Gebäude im Verbund mit dem Gemeindehaus (1997) seit einiger Zeit wieder für Veranstaltungen genutzt werden kann. Das sind einmal einige geschichtliche Fakten. Den wahren Wert dieses fast komplett sanierten ehemaligen sakralen Gebäudes erlebt der Besucher, wenn er dort einmal an einer Veranstaltung teilgenommen hat. Vergleichen können wir dieses Gebäude mit der geschichtsträchtigen Sankt-Burchardi-Kirche (gebaut circa 1050, Ende des zweiten Weltkriegs im Bombardement durch die Alliierten zerstört, nach wie vor ohne Turm) in Halberstadt nordöstlich vom Harz. Sie ist seit 2000 die Heimat des John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt. Also noch so ein historischer Klingender Ort !!

Wir haben schon hinter den Kulissen im Gemeindehaus gespürt, welch eine Erfahrung und Professionalität sich hier aus allen Richtungen Deutschlands zusammengefunden hat. Und die daraus resultierende Harmonie spürte man später auch auf der Bühne in der sehr gut besuchten, romantischen Feldsteinkirche Dolgelin. Da fragen wir uns natürlich wie bei Musikern, die an unterschiedlichen Stellen weitab voneinander leben, ein Proben möglich ist. Bassist Stephan „Roffi“ Roffmann dazu: „Zusammen proben ist natürlich sehr schwierig. Aber da wir in verschiedenen Konstellationen immer wieder mal zusammen musizieren kennen wir uns natürlich musikalisch äußerst gut. Das Programm und Tonarten, Tempi, Solos werden abgesprochen. Aber das wichtigste ist, sehr genau beobachten was die Kollegen machen, wohin bewegt sich der gemeinsame Noten-Strom. Dann findet alles zusammen und fließt.“ Und wer etwas tiefer in die musikalischen Lebensgeschichten eingetaucht ist und die Musiker etwas näher kennt, der kann sich durchaus vorstellen was Roffi meint und wie diese Synergie entsteht. Aber auch von den anderen Musikern haben wir einiges erfahren und eine Menge gelernt. Die meisten treffen wir noch einmal in Kürze.

Erster Akt – Die gut einsehbare und optimal vielfarbig beleuchtete Bühne, dort wo früher der Altar war, ist voll mit Instrumenten sowie Equipment und das Programm ist geteilt in drei Akten. Es soll eine Zeitreise durch die amerikanische Geschichte des Blues geboten werden. Im ersten Programmteil steht der Boogie Woogie in allen seinen Formen und Little Roger & The Houserockers im Mittelpunkt. Marion Wade (Piano), Roger C. Wade (Gesang, Harmonika) und Tilmann „T-Man“ Michalke (Gitarre) sind die Kern-Mannschaft der Haus-Rocker. Dazu das Akustik-Rhythmus-Duo Micha Maass (Schlagzeug, Perkussion) und Stephan „Roffi“ Roffmann (Kontra-Bass) sowie 1-Mann Gebläse Thomas Feldmann (Saxofon). Schon zu Beginn sind hier sechs renommierte, erfahrene und preisgekrönte Blues-Musiker in den heiligen Hallen von Dolgelin versammelt. Und wir haben auch ohne vorherige Bandproben nicht eine Sekunde das Gefühl, das diese Blues-Maschinerie nicht geölt läuft. Vorne die treibenden Instrumente, die im Wechsel immer auch Vorstöße mit Solos machen, dahinter ruhig und konzentriert Micha und Roffi. Mittig der großgewachsene „kleine“ Roger, der mit seinen witzigen und charmanten Dialogen zu Publikum und Kollegen moderiert und sofort eine Atmosphäre wie in einem Wohnzimmer schafft und mit seiner angenehmen Stimme textlich durch die Lieder führt. Auch durch die Harmonika von Roger und vor allem das Saxofon von Thomas werden immer wieder deutliche Akzente gesetzt. Da gibt es auch schon einmal berechtigt Zwischen-Applaus und die Zeit vergeht im Handumdrehen. Verwundert schauen sich die Zuschauer an, als die erste Umbaupause angekündigt wird. Doch schon vorbei ??

Zweiter Akt – Die Stimmung in der noch belebteren ehemaligen dachlosen Ruine Feldsteinkirche Dolgelin, es sind noch einige Besucher dazugekommen, ist friedlich, feierlich, gemütlich. Der Staffelstab wird schnell, ruhig und unaufgeregt an die nächste Kapelle übergeben. Micha, Roffi und Thomas haben nur kurz die Bühne verlassen sind für Teil zwei der Revue schon wieder in Stellung. Die zwei dazugekommenen Berliner an der Frontlinie sind die quirlige australische Sängerin Angela Cory und der Gitarren-Meister Jan Hirte. Das Repertoire dieser Truppe geht diesmal Richtung Rock’n’Roll, Rockabilly, Rhythm & Blues. Besonders bei diesem Programm kann sich bewegt werden, das macht Angela den Zuschauern vor und tatsächlich kommt hier und da Bewegung in die Menge. Überhaupt ist die Stimmung ausgezeichnet. Es gibt eine Menge Klassiker im Gewand der Angela Cory Band, denn Angela, Micha und Jan haben wir mit Bass-Unterstützung von Martin Rose bereits beim diesjährigen ausverkauften Winterblues Festival Bremerhaven schon einmal gesehen. Natürlich gibt das zusätzliche Gebläse von Thomas dem Band-Sound noch mehr Volumen und Klangfärbung.

Dritter Akt – Jetzt wird es mit reduziertem Blues noch emotionaler, dazu tragen das vorherige Programm und die Atmosphäre im ehemaligen Gotteshaus mächtig bei. Manche bezeichnen diese Form auch als Ur-Blues (Roots oder Country Blues). Im Mittelpunkt diesmal „Der Blues-Bär“ Michael van Merwyk, mit seiner kleinen Gitarre, die fast in seinen großen Händen verschwindet und aus der er Klänge entlockt, dass es einem über den Rücken rieselt. Er spielt fast ausschließlich Eigenkompositionen und das alles von der Lautstärke sehr reduziert. Dazu ein Gesang der jeden im Kirchenschiff elektrisiert. Rhythmus-Abteilung wie immer Micha und Roffi. Dazu der Gitarrenpartner Jan Hirte. Was für eine Kombination !! Es ist kaum ein Zuschauer gegangen, die Kreise vor der Bühne ziehen sich immer enger zusammen, verdichten den Raum und alle lauschen andächtig diesem Blues-Barden, der singend mit seinem Instrument quasi verschmolzen ist. Wir beobachten das alles vom Bühnenrad und Seiteneingang.

Vierter Akt – Zum großen Finale kommen für die letzten 20 Minuten noch einmal alle zusammen auf die Bühne, spielen und feiern bis Mitternacht gemeinschaftlich. Und man spürt bei allen neun Musikern, wie dankbar sie danach über den berechtigt anhaltenden Applaus sind. Natürlich sind Micha und Roffi auch wieder dabei, denn sie haben von der ersten bis zur letzten Minute alle anderen sieben Musiker begleitet. Und auch davor und danach waren sie noch bei bester Laune, wie alle anderen Musiker auch.

Der Besuch in der Brandenburger Feldsteinkirche Dolgelin im Oderbruch hat sich sehr gelohnt, für alle die dort beim Mini-Festival waren, auch für uns. Jeder, der eine Chance hat diese Blues-Revue irgendwo erleben zu dürfen, hingehen und eintauchen in diese zauberhafte Welt des Blues. Nächste Möglichkeiten, bei der Rolling Blues Revue im Kurhaus-Saal in Binz auf Rügen (30. Dezember 2025) und bei der 3. Blues Kreuzfahrt mit der MS Deutschland (21. bis 27. Juli 2026). Auf unserem Weg liegen in nächster Zeit aktuell noch einige Klingende Orte, beispielsweise ein Festival in einem ehemaligen Weinkeller Z87 in Würzburg, einen großen Chor mit Adiemus Programm in Dortmunds Dom und Hauptkirche Reinoldi mitten in der Dortmunder Innenstadt, eine besonderes Blues-Tagung im alten Fischereihafen Bremerhaven. Bilder_Text: Christa & Roland Koch

Live: Samstag, 04-10-2025; Ort: Feldsteinkirche Dolgelin (13. Jahrhundert); Musiker: Angela Cory (Gesang), Marion Wade (Piano, Keyboards), Micha Maass (Schlagzeug, Perkussion), Stephan „Roffi“ Roffmann (Contra-Bass), Roger C. Wade (Gesang, Harmonika), Jan Hirte (Gitarre, Gesang), Michael van Merwyk (Gesang, Gitarre), Tilmann „T-Man“ Michalke (Gitarre), Thomas Feldmann (Saxofon); Kapellmeister: Micha Maass; Veranstalter: Live In Reitwein e.V.; Organisation: Wolfgang „Wolle“ Conrad, Thomas „Rossi“ Rosslau, Cindy Meier, (https://www.live-in-reitwein.de/); Genre: Blues, Blues-Rock, Boogie Woogie, Country Blues, Rock’n’Roll, Rockabilly, Rhythm & Blues, Classic-Rock; Bemerkung: Veranstaltet durch Live In Reitwein e.V.

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