Historische Rock-Kulturstätte – Familiärer Treffpunkt im musikalischen Vogtland – Ich habe die Geschichte vom Bergkeller und des Art-Rock-Festival in der großen Kreisstadt Reichenbach im sächsischen Vogtlandkreis fast ein Jahrzehnt lang mit großem Interesse verfolgt. Anfänglich dachte ich mir, wieder so eine feine Lokalität wie beispielsweise Bad Doberan (MV).
Aber auch Waffenrod (Thüringen), Breitenbach (Nordhessen), Finkenbach (Odenwald). Alles Orte die der normale deutsche Bürger nicht oder nur selten kennt, die aber für die Fans der anspruchsvollen Rockmusik tönende und leuchtende Kultstätten der Live-Musik sind. Diesmal möchte die Rock-Kathedrale Neuberinhaus in Reichenbach vorstellen. Mitten im schönen Stadtkern findet seit 2016 meist im Frühjahr jedes Jahr ein internationales, mehrtägiges Rock-Festival statt. Der Chef-Drahtzieher Uwe Treitinger schafft es mit seinen vielen Kontakten in die Musikszene immer wieder echte Stars in seinen Musik-Club Bergkeller, versteckt am Ortsrand, zu einem Besuch zu bewegen. In nachfolgenden Texten werden wir viele davon erwähnen und vorstellen. Uwe ist aber auch ein großer Förderer des Nachwuchses. Viele unbekannte Künstler haben bei ihm eine erste Chance bekommen und sind danach durchgestartet. Das vergessen die vielen Musiker aus ganz Europa nicht, kommen immer wieder gerne nach Reichenbach und feiern mit ihren Fans in familiärer Atmosphäre.
Namensgeberin Friederike Caroline Neuber geborene Weißenborn erblickte am 9. März 1697 in Reichenbach dass Licht der Welt. Wie viele andere Menschen dieser Zeit hatte sie eine wechselvolle Geschichte, die erstmals mit Heirat von Schauspieler Josef Neuber und Beitritt beider in die Spiegelbergschen Gesellschaft stabiler wurde. 1725 gründete die „Neuberin“ ihre eigene Wander-Theater-Truppe, mit der sie in ganz Europa berühmt wurde. Nach den Vorbildern der französischen Schauspielkunst spielte sie selbst Rollen von der Soubrette bis zur Heroine. In Zusammenarbeit mit Gottsched setzte sie im deutschen Theater den hohen Stil des französischen Dramas durch. Wirtschaftliche Not zwang sie dann etwa 1750 ihre Wanderbühne aufzugeben, nach schweren 10 Jahren starb die Theater-Prinzipalin völlig verarmt Nähe Dresden und geriet in Vergessenheit. Posthum setzte ihr sogar Johann Wolfgang von Goethe mit »Madame De Retti« ein literarisches Denkmal. Der Neubau des Ball- und Konzert-Haus Kaiserhof wurde 15. Oktober 1898 eröffnet, 1945 durch Bombenangriff zerstört. Wiederaufbau als Reichenbacher Hof durch die Stadt Reichenbach mit Hilfe des Land Sachsen, durch Spenden aus der Bevölkerung, und freiwillige Arbeitsleistungen. Ab 18. September 1949 Wiedereröffnung als Stadt-Theater Neuberinhaus. Nach nochmaligem Umbau Anfang der 80iger wird der zentral gelegene und gut ausgestattete Gebäudekomplex auch erweitert genutzt und ist seit 1990 mit 50.000 Besuchern jährlich eine regional bedeutsame Einrichtung im Kulturraum Vogtland-Kreis. Seit 1996 ist das Neuberinhaus eine Einrichtung der Vogtland Kultur GmbH und ab 2016 für das Kontinental-Europäische Publikum anspruchsvoller Rockmusik auch die Rock-Kathedrale Vogtland.
Fast alle großen Musik-Festivals wurden 2020 abgesagt, nicht so im Vogtland. Uwe Treitinger hat den dreitägigen Termin vom April in den September verschoben und das ganze Ding knallhart durchgezogen. Wer dabei war, dem brauche ich hier nichts vorschwärmen. Das Programm war trotz Pandemie bedingter Absagen vieler ausländischer Künstler wieder einmal Extraklasse, die Stimmung trotz strenger Auflagen bombig. Uwe hat mit seinen Helfern ein feine Nase was trotz Namen auch Stimmung und Atmosphäre in die Halle bringt. Die Spitzenplätze der drei Tage waren mit Animals & Friends, Stern Meissen, Chris Slade’s Timeline, sehr gut besetzt und positioniert. Mehr Details zum Programm weiter unten im Text. Meine werten Kollegen und ich haben wie jedes Jahr auch über das Art-Rock-Festival 2020 in vielen Magazinen ausführlich berichtet. Dieser Beitrag ist wieder eine Zusammenarbeit. Auch 2021 werden wir vermutlich wieder einen Festival-Bericht schreiben, aber jetzt schon einmal eine große Verbeugung vor den Machern aus dem sächsischen Vogtland. Wir stellen im Beitrag für jedes Jahr zwei oder drei Künstler in den Fokus, ohne Ranking, sondern ausgewählt auch nach emotionalen Momenten. Und die gab es jeweils reichlich !!
Rückblende – Eine Handvoll Musikbegeisterte Region Vogtland haben bei einem Konzert von RPWL in der Leipziger Moritzbastei 2002 die Idee einen Musik-Club für anspruchsvoller Musik zu etablieren. Uwe Treitinger aus Reichenbach setzt das schon im November 2002 mit dem ersten Rock-Konzert von RPWL in seinem Club Bergkeller in die Tat um. Daraus entstehen weitere Formate und auch das Art-Rock-Festival, das eintägig im Juli 2006 mit vier Bands zum ersten Mal in der örtlichen Go-Kart-Bahn veranstaltet wird. 2007 und 2008 folgen üppigere zweitägige Festivals am regionalen Wahrzeichen Göltzschtal-Brücke. Mit einer längeren Unterbrechung wird dieses Festival seit 2016 im zentralen Neuberinhaus nun 2021 wieder dreitägig zum neunten Mal veranstaltet. Heute ein Festival das weltweit Gäste nach Reichenbach im Vogtland lockt und nun Maßstäbe dieser Art Musik-Präsentation setzt. Hier sind Namen nicht wichtig, alles muss sich der Qualität unterordnen. [B: Frank Bernhardt, T: Roland Koch]
Art-Rock-Festival 2016 – Neuberinhaus
2016 – Neustart mit 2-tägigen internationalem Programm im Neuberinhaus – Die Festivalverlegung auf den Aprilanfang und in das Neuberinhaus inmitten Reichenbachs verhalf zu Witterungsunabhängigkeit sowie uns Proggies zu mehr Terminfreiheit für Events im Sommer. Veranstalter Uwe Treitinger schrieb optimistisch in seinem Newsletter vom 28-10-2015: "…bis jetzt übertrifft die Kartenbestellung für das Festival meine kühnsten Erwartungen…, Ich denke, dass wir das Festival sehr wahrscheinlich ausverkaufen könnten!" Das hat zwar nicht ganz geklappt, doch mit geschätzten 500 Proggies an jedem der beiden Tage war das Festival dennoch würdig besucht. Das Parterre bot Stehplätze, die Konzerte sitzend genießen konnte man auf dem Rang.
Pünktlich 17:45 Uhr eröffnete Effloresce aus Nürnberg das Festival Freitag mit ihrem 50-minütigen, leicht progmetallischen Gig. Sängerin Nicki Weber mit sehr angenehmer Stimme und zudem an der Querflöte sowie – für Proggies ungewöhnlich, die mit Metal weniger vertraut sind – Ausbrüchen weiblichen gutturalen Gesangs. Das passte durchaus, denn an anderer Stelle hätte es manchmal etwas abwechslungsreicher zugehen dürfen. In jedem Falle ein sehr ordentlicher Beginn, der uns gut in Stimmung brachte! Gleichfalls superpünktlich folgte District 97 aus den USA mit einem mannigfaltigen Mix, anfangs aus Heavy- und Prog-Metal, in der zweiten Hälfte dann proggiger und kompakter. Frontfrau Leslie Hunt – 2007 Halbfinalistin bei »American Idol« – dabei mit sehr schöner Alt-Jazz-Stimme. Das King-Crimson-Cover »One More Red Nightmare« leitete sie mit einer Ansage gegen den US-Wahl-Zirkus und Trump ein: »No More Orange Nightmare!« Zu Recht viel Beifall! Karfagen aus der Ukraine bot sechzig Minuten melodischen Neo-Prog mit Schwerpunkt auf den Keyboards, in seiner Softness ein guter Kontrast zu den Gigs zuvor. Neben Stücken aus dem umfangreichen Band-Fundus gab es mit einem Teil des 2012er Longtracks »Isolation« auch Material aus dem Projekt »Sunchild« von Band-Mastermind Antony Kalugin. Hörens- und sehenswert sowie angenehm entspannend. Die sich anschließende anderthalbstündige Show von Co-Headliner RPWL wurde von einer aussagestarken, auf Musik und Text abgestimmten Video-Projektion sowie Laser-Untermalung begleitet. Die ersten 20 Minuten begannen zunächst "schaumgebremst", vielleicht deshalb, um Yogi Lang anschließend feststellen zu lassen, was Prog eigentlich sei und es wohl Long-Tracks sein müssten, die es von nun an auch vom Feinsten wurden: »The Gentle Art Of Swimming«, »Three Lights« und weitere aus dem früheren Katalog bis zum abschließenden, grandiosen »The Fisherman«. Das kam beim Publikum überaus gut an und wurde entsprechend enthusiastisch honoriert. Headliner IQ startete mit 35 Minuten Verspätung, denn die Justierung der drei Projektoren auf die drei Leinwände nahm mehr Zeit als geplant in Anspruch, weil eine entsprechend lange Leiter offenbar nicht griffbereit war... Doch das Warten wurde belohnt: Die über die horizontal angeordneten Leinwände laufende Videoshow war überaus kreativ und absolut stimmig und der Sound satt und ausgewogen. Peter Nicholls, obwohl stimmlich leicht angeschlagen, mit hochprofessionellem Auftritt. Von seinen Bandmitgliedern vor allem Michael Holmes an der Gitarre sowie Keyboarder Neil Durant überragend. Das Set begann mit »Sacred Sound« und enthielt im Hauptteil drei Songs von »The Road Of Bones«, weitere fünf Stücke sowie als großartiges Finale »Awake And Nervous« ihres 1983er Debütalbums. Ein perfekter Abschluss eines abwechslungsreichen und sehr gelungenen Festivaltages um 01:10 Uhr!
Die ursprünglich geplante Eröffnung des Samstags durch Personal Signet aus Tschechien wurde krankheitsbedingt abgesagt, weshalb die Italiener von Soul Secret Punkt High-Noon diesen Tag begannen. Die noch draußen weilenden Proggies mussten zunächst erst flugs in den Saal strömen. Der musikalische Stil war zumeist Metal mit Melodienanteil, wofür vor allem das Keyboard verantwortlich zeichnete. Das Finale des 53-minütigen Auftritts war schließlich ein gelungener 12-minütiger Prog-Metal-Titel. Am zweiten Festivaltag erneut ein guter Start! Ally The Fiddle ist eine norddeutsche Band um die Geigerin Almut "Ally" Storch. Musikalisch bewegt sie sich zwischen Rock bis Folk, gern auch progressiv. Das Besondere liegt auf der Dominanz der Violine, die oft den Gesang ersetzt und es liebt, mit der Gitarre zu interagieren. Ally spielt dabei eine fünfsaitige Violine ihres Freundes und Hobby-Instrumentenbauers Ralph Müller. Ihr toller, einstündiger Auftritt hatte hohen künstlerischen Wert und reichlich Spaßfaktor, schöne Soli und viel Zwischenapplaus. Und auf Ally Storch Rock Violistin kann man "alles" über ihre traumhaft langen Haare erfahren… ;-). Credo aus Großbritannien boten anschließend handwerklich soliden Neo-Prog mit musikalischem Schwerpunkt auf dem Keyboard liegend, gespielt von Mike Varty – umtriebig auch bei Landmarq und Shadowland unterwegs –, und tatkräftig unterstützt durch die Rhythmusfraktion an Bass (Jim Murdoch) und Schlagzeug (Gerald "Mully" Mulligan). Der Gitarre (Tim Birrell) wurde im Bandgefüge eine begleitende Funktion zuteil, von einem kurzen Solo im finalen Titel abgesehen. Sänger Mark Colton wusste seine ausdrucksstarke Stimme überzeugend in Szene zu setzen. Für die kommenden Höhepunkte kam der Zeitplan durcheinander, weil für Umbau und Soundcheck mehr Aufwand getrieben und Zeit in Anspruch genommen wurde: SBB – das Legenden-Trio aus Polen (gegründet 1971) – hatte den Platz im Line-Up mit Stern-Combo Meißen getauscht. Die drei Gründungsmitglieder Józef Skrzek (Keyboard, Bass und Gesang), Antymos Apostolis (Gitarre und Schlagzeug) und Jerzy Piotrowski (Schlagzeug) begannen zunächst ostinat, wurden dann jazz-rockig und steigerten die Dramatik stetig. Spektakulärer Höhepunkt das knapp viertelstündige Finale, ein meisterhaftes und inspiriertes Drum-Duett zwischen Piotrowski und Anthimos. Dafür wurden sie vom aufmerksamen Publikum völlig berechtigt gefeiert! Als Zugabe gab es abschließend eine leichte Blues-Nummer. Die de facto Lokalmatadoren von Stern-Combo Meißen (gegründet: 1964) ließen im Anschluss keine Zweifel aufkommen, uns gleichermaßen einen würdigen Auftritt darbieten zu wollen, und stapelten dafür zunächst reichlich Instrumentarium und Technik auf die Bühne. Martin Schreier als verbliebenes Gründungsmitglied erwähnte eingangs den Auftritt der Band von vor 40 Jahren an selber Stelle und erinnerte in einem kurzen Nachruf an ihren sieben Wochen zuvor verstorbenen einstigen Sänger Reinhard Fißler. Ehrensache für die Band, auf einem Prog-Festival vor allem die Prog-Stücke ihres vielfältigen Repertoires aufzuführen: Ihre zwanzigminütige Mussorgski-Adaption von »Bilder Einer Ausstellung« war genau der richtige Einstieg mit einem entrückenden »Das Große Tor Von Kiew« als Höhepunkt. In diesem Stil setzten sie mit weiteren Klassikern fort, zum Teil als live stark erweiterte Longtrack-Versionen wie der historisch nachempfundene »Kampf Um Den Südpol« (vom gleichnamigen Album 1976) oder bedeutungsschwer in »Die Sage« (Album »Der Weite Weg«, 1979). Mit ihrem neuen, jungen Sänger und Keyboarder Manuel Schmid ist der Band ein absoluter Glücksgriff gelungen: Sympathische Ausstrahlung, tolle Stimme, souveränes Keyboardspiel und nahtlose Integration in die Band, welche selbst im Übrigen ebenfalls souverän agierte. Die sechs britischen Prog-Metaller von Threshold boten sodann einen dynamischen Kontrapunkt zum tiefgreifenden Prog der vorangegangenen Aufführungen. Mittelpunkt ihres Gigs ist dabei namentlich Frontmann – nein: "Rampensau" – Damian Wilson mit seiner schönen, warmen Stimme und seiner überbordenden Agilität: Da ihm in seinem Bewegungsdrang die Bühne nicht ausreichte, sprang er mehrfach über die Geländer im Saal, rannte bis hoch zum Rang und erklomm gar die Balkonbrüstung! Unglaublich und er schien dabei nicht einmal aus der Puste zu kommen. Seinem Zitat ist nichts hinzuzufügen: "I have nothing. I mean: Really nothing. But if it comes to stage, I OWN the stage." Unterstützt wurde er dabei von durchweg exzellenten Musikern, hervorgehoben seien Karl Groom (Gitarre) und Johanne James (Schlagzeug), letzterer neben seiner intensiven Drum-Arbeit uns oft mit Drumstick-Kunststückchen unterhaltend. Mitreißendes, kurz vor Mitternacht endendes Konzert! 50 Minuten nach Mitternacht betrat Headliner Pendragon die Bühne: Die Stammbesetzung um Nick Barrett (Gesang, Gitarre), Clive Nolan (Keyboards) und Peter Gee (Bass) wurde unterstützt von den schönen Stimmen der beiden attraktiven Backgroundsängerinnen Christina Maria Booth (Magenta) aus Wales und der Engländerin Verity Smith, letztere uns bereits bekannt von den Clive-Nolan-Musicals »Alchemy« (29-11-2014) und »SHE« (28-11-2015), jeweils auf gleicher Bühne. Anstelle von Craig Blundell, welcher im Jahr zuvor zu Steven Wilson wechselte, bearbeitet nunmehr Jan-Vincent Velazco die Drums. Anlässlich des 20-jährigen Albumjubiläums von »The Masquerade Overture« wurde jenes mit fünf seiner sieben Titel beinahe vollständig gespielt, außerdem dessen Bonus-Track »Schizo«. Das Set vervollständigten die Klassiker »The King Of The Castle«, »Faces Of Light«, »Nostradamus (Stargazing)«, »Come Home Jack«, »Breaking The Spell« und »Indigo«. Zugabe war eine episch ausgebaute Version von »Masters Of Illusion«. Ein glanzvoller Abschluss um 02:20 Uhr eines herausragenden Festivals! [T: Frank Bernhardt]
Art-Rock-Festival 2017 – Neuberinhaus
2017 – Das erste Mal nun drei Tage in historischem Ambiente – Wir sind auf der ersten großen Tour mit unserem Reisemobil; Vogtland, Prag, Bayrischer Wald, und kaum in Reichenbach angekommen, sind wir schon unter Zeitdruck. Vom Club Bergkeller bis zur Halle im Stadtkern ist es fußgängig doch ganz schön weit, wir erreichen das Neuberinhaus mitten im Eröffnungsauftritt vom Opener Stern Meißen. Eine sehr ungewöhnliche Präsentation, die ich so nur sehr selten erlebt habe (zuletzt 2019: Die Hagener Green mit dem »Symphonic Floyd« Programm), mit großem Orchester Symphonie-Orchester Leipzig und dem vielköpfigen Wilandes Chor, die Bühne voll mit Musikern beider Lager, Vokallisten unterschiedlichster Klangfarbe. Gleich mein erster Auftritt so ein Spektakel, mit Klassiker »Pictures At An Exhibition« zum Schluss. Ich war begeistert von diesem klingenden Ort, von den Menschen, von dieser besonderen familiären Atmosphäre. Die Umbaupause war wegen des Künstleraufgebots auf der Bühne und begrenzten Technikpersonal extrem lang, deshalb verschieben sich die nachfolgenden Auftritte von Kalle Wallners Solo-Projekt Blind Ego und der Hamburger Band Sylvan doch sehr. Die beiden Bands sind in Höchstform und spielen wie immer sehr druckvolle Konzerte. Die britische Hard-Rocker Karnataka aus Swansea, Wales erleben wir leider nicht mehr, fünfstündige Anreise, halbstündiger Fußmarsch zur Halle und über sechs Stunden Beschallung fordern ihren Tribut. Und wir müssen ja auch wieder zurück zum Bergkeller. Aber am nächsten Tag sind wir nach ausgiebigen Frühstück am schönen Marktplatz wieder in den Startlöchern. Und auch am Samstag ist Bummeln nicht möglich, denn gleich um 12:00 Uhr gibt es einen Duo-Auftritt mit Kerzenlicht. Jonas Reingold, Tieftöner von den schwedischen Flower Kings und sein Kumpel Andy Bartosh aus Österreich starten mit einem akustischen Leckerbissen. Ein Club-Auftritt in dieser Atmosphäre vor etwa 150 Besuchern in der Halle. Auch ein nagelneuer E-Bass von einem jungen Instrument-Bauer der Region Vogtland den Uwe unterstützt, bringt keinerlei Qualitätseinbruch. Jonas ist eben ein echter Könner !! Mit Seven Steps To The Green Door und den Bernburger AnTon geht es gemütlich weiter. Schön ist es auch das Uwe Treitinger, genau wie die Macher vom Herzberg Festival, sozialen Projekten eine Plattform bietet. Die Truppe AnTon legt sich leidenschaftlich ins Zeug und sorgt mit solider Handwerkskunst für einen guten Übergang auf die Wall-Of-Guitars mit Red Sand aus Kanada und Crystal Breed sowie Uli Jon Roth aus Deutschland danach. Nach dem Konzert ist die Tür zum VIP-Raum offen, Uli sitzt mit seiner Entourage am Tisch und genießt das Catering. Christa stürmt natürlich sofort in den Raum und ich schaue vorsichtig was passiert. Der Gitarren-Gott winkt und ruft: Kommt doch rein !! Uli und Christa verstehen sich sofort, ist klar: gleiches Baujahr, beides Hippies, beide strahlende Erscheinungen. Zum Abschluss des Tages spielt Chris Thompson & Band ein Potpourri aus seiner ganzen Karriere, inklusive des Farnham-Hit »You’re The Voice«, aber dann bei den Krachern der Manfred Manns Earth Band – »Father Of Day Father Of Night«, »Blinded By The Light«, »Davy’s On The Road Again« – brennt die Bude lichterloh. Und wer nun denkt das waren die Highlights des Festivals, weit gefehlt, die Vögel schießen am nächsten Tag die Quintette Mystery aus Franko-Kanada und Lazuli aus Süd-Frankreich ab. Aber zuletzt auch Omega aus Ungarn. Für mich hat es 45 Jahre gedauert, diese ungarische Band mal Live zu erleben. Und es hat sich gelohnt. Die Band war Anfang der 70iger im Strom des Krautrock ähnlich wie Nektar (UK), Magma (FR) und SBB (PL) hochgespült worden und hatten sich mit etlichen guten englischsprachigen Alben (1973: »200 Years After The Last War«, 1974: »Omega III«, 1975: »The Hall Of Floaters In The Sky«, 1976: »Time Robber«, alle Bellaphon) eine große, treue Fangemeinde geschaffen. Gerade in Ost-Deutschland waren Sie wegen vieler dortiger Auftritte sehr beliebt, da war man froh diesen großartigen Rock-Act Live On Stage zu erleben (auch bereits 1970 in Reichenbach), da nur wenige internationale Künstler hinter dem Eisernen Vorhang auftreten durften. Eine Sensation ist, dass die Budapester Legende hier im Vogtland nun fast im kompletten 1970-Line-Up auftreten. Unterstützt werden die alten Recken noch durch junge Mitmusiker und das ganze Ensemble wird stilvoll und grandios durch eine sehr gute Light & Laser-Show in Szene gesetzt. Nach den vorherigen drei Live-Schwergewichten setzt nun Omega gleichwertig als vierte Band hintereinander Akzente und begeistert das fachkundige Publikum total. Was war das 2017 ein Start der Festival-Saison, Woooaaahhh !! [B_T: Roland Koch]
Art-Rock-Festival 2018 – Neuberinhaus
2018 – Steter Tropfen höhlt den Stein, das Festival strahlt in die Musikszene – Bei unserem zweiten Besuch in Reichenbach haben wir natürlich mehr Erfahrungen und richten uns auf einem Parkplatz in der Nähe ein. Das Programm mit 17 Bands aus 9 Ländern erneut an drei Tagen ist mal wieder Rekordverdächtig. Was politisch innerdeutsch und europaweit nicht klappt, machen die Musik-Freaks mit Leichtigkeit, denn Organisation, Technik, Catering, Rahmenprogramm hat noch einmal an Quantität und Qualität zugelegt. Wie schon 2017 wieder im Eingangsbereich zur Halle eine Foto-Ausstellung mit Konzert-Fotos in Schwarz-Weiß und Farbe. Diesmal zusammen ausgerichtet von Andreas Tittmann und Bodo Kubatzki, die schon über viele Jahre als Art-Twins schöne Bilder für die deutschen Musik-Magazine geliefert haben. Zum ersten Mal gibt es dieses Jahr im Foyer in den Pausen zusätzlich auch akustische Spezialitäten, Gitarrist Kalle Wallner von RPWL spielt zusammen mit zwei Kollegen großartig auf. Die fünfköpfige Band Asgard um Gründer Albert Ambrosi, die seit 1983 in unterschiedlicher Besetzung besteht, den Lebensmittelpunkt von Norditalien nach Norddeutschland verlegt hat, eröffnen am Freitag Vogtland-Cruise 2018. Nach unglaublich ultrakurzer Umbaupause dank Crew und Drehbühne steht mit den vier Berlinern von Crystal Palace eine noch damals unverdient recht unbeachtete Formation vor den sich wieder einfindenden zahlreichen Zuschauern. Die Mannen um Frontmann Yenz Strutz haben 2021 mit »Scattered Over Europe« und »Still There« einen Doppelschlag geplant und sind inzwischen ein gehöriges Stück in ihrer Karriere weitergekommen. Wenn man sich nach einem Jahr noch an alle Akteure erinnert, bedeutet man war beeindruckt und dass noch es besser geht zeigt dieser Auftritt beim ARF. Bandleader David Cross (King Crimson) mit seiner futuristischen blauen Violine im Zentrum, Hochkaräter David Jackson (Van der Graaf Generator) mit seinem Gebläse-Satz Rechtsaußen und in den Lücken weitere Musiker die zusammen musikalisch im Grenzbereich von Prog, Jazz-Rock, Fusion, Canterbury ein Meisterstück ablieferten. Die gute Stimmung auf und vor der Bühne und die Club-Atmosphäre im Neuberinhaus sorgte dafür das besonders die Stücke vom aktuellen Album »Sign Of The Crow« (2016) richtig frisch und druckvoll interpretiert wurden. Bei dem Zugaben-Klassiker »21st Century Schizoid Man« von King Crimson singen viele im Publikum mit. Schön dass es nach der Absage 2017 dieses Jahr geklappt hat und wir für das Warten mit so einer gigantischen und leidenschaftlichen Präsentation von komplexer Art-Rock-Musik belohnt wurden. Nun muss sich Dana Fuchs aber strecken. Der Headliner-Auftritt der Dana Fuchs Band, die hier beim ARF 2018 ihre Europa-Tour beginnt, wird schon im Vorfeld kontrovers diskutiert. Die heute gebotene ausgewogene Melange aus Folk, Blues, Country und Rock wird zwar typisch im US Stil präsentiert, aber gekonnt vorgetragen und passt gut in das Gesamtbild und als Abschluss des ersten Festival-Tages.
Mit der fünfköpfigen Formation Ubi Maior um Frontmann und Gründer Mario Moi startet der Tag wieder italienisch, dynamisch und sehr kurzweilig. Gemütlicher wurde es mit dem Duo Damian Wilson (vormals Threshold) und Adam Wakeman sowie dem Urgestein der ostdeutschen Rock-Musik mit Lift aus Dresden. Zwar war deren Programm im Ablauf etwas krass, aber die Mannen um Langzeit-Frontmann, Sänger Werther Lohse zogen alle Register. Konstanten der polnischen Collage (früher Blue Island) sind von 1984 bis heute Mirosław Gil (Gitarre) und Schlagzeuger Wojciech Szadkowski. Das sind nur wenige Gemeinsamkeiten mit den glorreichen Riverside, denn wenn eine Gruppenstruktur dauernd verändert wird, dient das nicht der Stabilität. Aber auch Sänger Karol Wróblewski ist extrovertiert, selbstbewusst, wie die ganze Band. Nicht nur ich war begeistert vom Auftritt des ungewöhnlichen Retorten-Projekt IO Earth beim NOTP_2015, die damals noch recht unbekannt waren und sich selbst als Genre-Verschmelzer bezeichnen. Die beiden kreativen Köpfe und Langzeit-Freunde Dave Cureton (Gitarre, Gesang) und Adam Gough (Keyboards, Piano, Gesang) starteten 2009, scharten gute Musiker um sich und fanden mit Linda Odinsen (Gesang, bis 2016) eine in allen Belangen charismatische Bug-Figur. Im Gegensatz dazu wirkt die neue Frontfrau Rosanna etwas künstlich. Ganz Europa wird beherrscht von britischer Rock-Musik, nicht ganz, denn es gibt eine kleine Gruppe von sehr verwegenen Gestalten die sich nicht unterwerfen lassen. Erbarmen die Gallier von Lazuli kommen !! Jedem der diese Truppe noch nicht kennt rate ich, erlebt diese gallischen Ethno-Metal-Progger mal Live und in Farbe beim Konzert. Wer es nicht geschafft hat, schaut euch die DVD & Buch »Nos Ames Saoûles: Live 2016« an, ist aber kein echter Ersatz für das lebendige, leidenschaftliche Live-Erlebnis. Auch die britischen Mostly Autumn formierten sich ähnlich wie die Gallier als Geheimtipp Mitte der 90iger, Anfangs als progressiv-melodische Retro-Folk-Rocker. Viele lange Jahre, massenhaft gute Auftritte, wunderbare Alben, viele Besetzungswechsel später steht der Kopf der englischen Band Bryan Josh (Gitarre, Keyboards, Piano, Gesang) mit seiner vielköpfigen Mannschaft auf den Brettern des Neuberinhaus und sie überzeugen mit einer sehr soliden Performance die nahtlos an Lazuli anknüpft. Auch die Startplätze der Tag-Staffel-Drei sind mit dem Akustik-Duo Melli Mau & Martin Schnella (mit Trommler Niklas Kahl als Trio), Toxic Smile (mit ihrem Karriereabschluss), das britische Prog-Urgestein Jadis sowie die alten Schweden von Siena Root aus Stockholm, diesmal zusätzlich mit dem jungen, talentierten Front-Girl Lisa Lystam sehr stark besetzt. Gitarrist Michel St-Père von Mystery besucht Reichenbach nun schon wieder, diesmal mit den Franko-Kanadiern Huis, die es aber mit ihrem klassischen, melodischen, symphonischen Prog bei dem starken Vorprogramm recht schwer haben. Die meisten Besucher kamen aber per Tageskarte für Ken Hensley & Live Fire, die leider aus technischen Gründen einen gekürzten Auftritt spielen mussten. Bei der Zugabe »Gypsy« ging es am rechten und linken Bühnenrand dann richtig hektisch und teils ruppig zur Sache. Foto-Profi Bodo Kubatzki hat nur mit dem Kopf geschüttelt und abgewunken. Trotzdem sind ihm und auch mir einige gute Schnappschüsse gelungen. Beim Empire Magazin und der Freien Presse Chemnitz wurde der Festival-Head-Liner auch berechtigt gewürdigt. [B_T: Roland Koch]
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