Premium-Blues-Trainingslager im Regenbogen-Camp in Göhren – Das was wir im Moment brauchen, haben wir hier auf Rügen bei Blues-Binz und Blues Camp gefunden, die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit gespürt. Aber wir müssen etwas mehr dafür tun, das gibt es nicht als simpel-leichten Freibrief. Also nehmt euch vor, dass wir uns wieder zum Blues irgendwo treffen.
Virginia & Skybenders – Eigentlich wollte ich den Blue-Wave-Sonntag an der Promenade vor dem Kurhaus von Binz aus verschiedenen Gründen auslassen. Aber was ich dann doch am Abschlusstag mit quirliger Sängerin Virginia Pihlblad (Front-Stimme), Maisan Gustafsson (Saxofon, Violine, Gesang), Joakim Wahlander (Gitarren), Peter Höglander (Bass, Blues Harp), Svenne Jansson (Keyboards), Tobias Johansson (Schlagzeug) als Überraschungsgast Virginia & Skybenders aus Schweden miterleben durfte war elektrisierend. Schon der Beginn des Auftritts war zum Zunge schnalzen. Wegen Zeitmangel konnte die Truppe nicht alle eigenen Instrumente aufbauen. So wurde in Absprache verwendet was gerade auf der Bühne zur Verfügung stand oder man stöpselte sein Instrument eben einfach schnell an das aufgebaute Equipment an. Es ging sofort im Höllentempo los, die ersten Titel wurden auch zum optimieren des Klangbildes genutzt und das schwedische Septett nahm von Sekunde zu Minute enorm an Fahrt auf. Das Publikum an der Promenade legte wegen der modernen, druckvollen Darbietung zahlenmäßig zu und die Musiker wurden durch die überspringenden Funken regelrecht aufgepeitscht. Das Programm, modern zwischen Alternativ-, Blues- und Classic-Rock zündete sofort, auch weil den Musikern die Spielfreude aus allen Poren drang. Das bärtige Wikinger-Rhythmus-Duo im Hintergrund legte das Fundament für die solistischen Ausritte von Maisan an Saxofon, Joakim mit 6-saitger Love-Gitarre und Svenne an den Schwarz-Weiß-Tasten. Dabei entlockte der fingerfertige Gitarrist Joakim Wahlander mit einem fulminanten Hendrix-Medley und überschäumend Ozzy Svenne mit einer ekstatischen entfesselten Orgel-Orgie den begeisterten Zuschauern spontanen frenetischen Szenen-Applaus ab. Immer über allem dann noch das verbindende Element Virginia Pihlblad, gerade zum dritten Mal glücklich Mutter geworden, die mit ihrer sanften, charmanten, gestenreichen und dennoch druckvollen vokalen Darbietung sowie außergewöhnlicher körperlicher Präsenz alle Akteure nonverbal dirigierte und ständig zu Höchstleistungen anstachelte. Schade, dass diese wunderbaren schwedischen Youngsters nach 2015 und 2022 wieder nur so ein überschaubares Publikum hatten. Sie würden bei vielen Festivals, die ich dieses Jahr noch besuchen werde, das Publikum im vierstelligen Bereich zum Überschäumen bringen, wir arbeiten bereits daran, versprochen. Virginia & Skybenders sind nur fünf Stunden später abends auch noch beim Blues Camp Göhren (circa 15 Kilometer von Binz entfernt) aufgetreten. Identische Vorgehensweise, vergleichbares Spiel, gleiche Begeisterung auf beiden Seiten. Hier konnte dann auch Maisan Gustafsson ihre futuristische elektrische Violine und Orgel-Ozzy Svenne Jansson seine uralte und malträtierte Emerson-Hammond-Orgel endlich grenzenlos einsetzen. Was ein Feuerwerk an Emotionen, auch als Virginia bei einem Titel mit den Tränen kämpfend von ihrem kürzlich verstorbenen Vater erzählte. Mich hat das sehr berührt, vor allem da ich durch meine visuelle Nähe mit der Kamera, praktisch hautnah dabei war. Ich glaube, ihre Eltern wären echt stolz gewesen, Virginia auf der Bühne Seite an Seite mit ihren Freunden so großartig und strahlend zu sehen. Was für ein großartiges Auftreten dieser sechs jungen wilden Schweden, was für zwei eruptive Konzerte bei einem eintägigen Besuch und das bei sofortiger Rückreise aus Rügen am nächsten Morgen. Das ist pure Leidenschaft und Lebenskraft, das brauchen wir jetzt verstärkt !! Weitermachen Skybenders aus Sverige.
Eine würdige Jubiläums-Veranstaltung bei bestem sommerlichen Wetter und mehr als ein Dutzend Formationen die alle professionell aufgetreten sind, in jeder Hinsicht !! Auch die Technik war exzellent und immer auf dem Niveau der aktiven Musiker. Einziger Schwachpunkt war die Quantität der Besucher, so ein Premium-Festival hätte sicher mehr Aufmerksamkeit und Publikum verdient gehabt. Man fragt sich wirklich, was soll man noch aufbieten um die Menschen, hier sogar kostenfrei, an die Bühnen zu bringen. Die großen Amis und Briten sind schon fast alle im Nirvana, auch die vielen, die in Europa lebten. Da höre ich aus dem Hintergrund, warum nicht Joe Bonamassa. Warum sollte man, wir hatten Stef Rosen, Richie Arndt oder die Jungs von Lucky Troubles, die spielen auf gleichem Niveau. Ich möchte dieses Thema hier nicht weiter vertiefen, aber ich werde da immer wieder meine Finger in die Wunde legen. Und meine diesjährige Blues-Cruise ist hier noch lange nicht zu Ende, sondern ist erst der zweite Akt einer Quadrofonie. Meine Blues-Geschichte wird zuerst einmal hier auf Rügen weiter geschrieben mit einer Woche und ein Dutzend Workshops sowie jeden Abend mindestens vier Stunden Live-Musik auf der zentralen Freilichtbühne im Regenbogen Camp Göhren. Die ist der Loreley-Bühne in Sankt Goarshausen am Rhein nachempfunden, nur etwa Faktor zehn kleiner. Ein großartiges einmaliges Format in der europäischen Blues-Szene. Diese vom sehr umtriebigen Schlagzeuger Micha Maass initiierte inzwischen 13. Ausgabe des Blues Camp hat ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Die Workshops an allen klassischen Blues-Instrumenten; von Blues-Harp bis zu Gitarren sogar mehrfach, sowie auch Gesang-Chor, Tanz, Komponieren, Mix-Master-Technik, Band-Orchester; sind von Montag bis Donnerstag in mehrstündigen vormittäglichen Sessions aufgeteilt. Dieses Jahr hatte ich sogar die Gelegenheit viele der gut gebuchten Seminare zu besuchen und in die Arbeit der Dozenten und Teilnehmer einzutauchen. Und bei allen von mir besuchten Stationen an verschiedenen Spielstätten innerhalb des kleinen Dorfes am Eingang des Regenbogen-Camps, war die Stimmung konzentriert, aber ebenso euphorisch. Ich habe die Anspannung in den Gesichtern der Teilnehmer gesehen, die Leidenschaft gespürt; aber immer auch die Zufriedenheit und Dankbarkeit gefühlt, hier im Blues-Camp von erfahrenen europäischen Blues-Titanen zu lernen und auf die Schulter geklopft zu bekommen. Und jeden Abend standen viele der Teilnehmer zusammen mit den Dozenten-Helden und Star-Gästen, die zum Teil bereits in Binz auf der Bühne standen: Ben, Dave, Dieter, doppelt Jan, doppelt Michael, Pugsley, Rosy, Stef, Tobias, gemeinsam auf der schönen Camp-Bühne, haben zusammen ohne Allüren den puren Blues zelebriert. So lebt man diese Musik, das macht dieses Genre aus !!
Bild-Galerie – Blues Camp 2023 – Göhren auf Rügen
Ich habe mit vielen Teilnehmern der Workshops gesprochen und nur Lob und Zufriedenheit signalisiert bekommen, selbst die an vier Abenden präsentierten Projekte hatten ebenfalls hohes Niveau und überraschten mich mehrmals sehr stark. Der von Gitarrist Jan Mohr als Dozent geleitete Band-Workshop war bei der Präsentation für mich knapp der Workshop-Sieger. Mit einer fünfköpfigen Bläsertruppe die spielend und marschierend hinter der einen Seite der Bühne und kurz danach unter dem Jubel des Publikums auf der anderen wieder dröhnend auftauchte war eine Choreografie wie bei Profis. Auch der abschließende Titel Road To Nowhere von den Talking Heads, der in einem großen Chor auf und vor der Bühne mündete, erzeugte Gänsehaut bei mir. Es machte deutlich das die hier versammelten Menschen verstanden haben wo die Menschheit aktuell steht, und dass auch klar verbal signalisierten. Ein schöner Abschluss an diesem Tag, für unseren Aufenthalt und für diesen Bericht. [B_T: Christa & Roland Koch]
Kommentar hinzufügen
Kommentare