Vierseitenhof Kleukers 1 – Späte Nacht, weit nach der Geisterstunde brodelte es immer noch am Freitag bei Die Lohmann Kapelle und Samstag bei den The Bluesanovas auf dem imposanten Vierseitenhof Kleukers. Die Menge ist an beiden Abenden angestachelt, immer aufgepeitscht durch Anheizer Andreas Bock und wirken völlig außer Kontrolle.
Schauplatz Freitag 23. Juni – Vierseitenhof Kleuker 1
Ich höre Rufe nach der Feuerwehr, erbarmen, die sind ja mit Grillzangen und feuerfesten Handschuhen mitten in diesem tobenden Mob. Eine sich windende Menschenschlange schlängelt sich unter der druckvollen Musik von der Bühne. Und vorne weg ein schwankender Gaukler, der auch noch krächzende Töne ausstößt. Nee, jetzt erkenne ich es im diffusen Licht des Hofplatzes besser, nein es ist ein trötender Saxofonist der wie eine Dampf-Lokomotive die Reihe der Menschen hinter sich herzieht. Aber erst einmal Rücksetzen zum Freitagnachmittag, da soll das Programm mit den Norwegern The Jelly Roll Men eröffnet werden. Aber da kein Wikinger zu sehen ist, startet der Hamburger Gitarrist Jan Mohr mit den Backsratchers etwas verspätet den dritten Tag des Festivals. Wieder bekannte Gesichter am Schlagzeug (Andreas Bock), Gitarre (Jan Mohr) und Blues Harp (Frank Rihm), dazu Dirk Vollbrecht am Akustik-Bass und ein weiterer Gitarrist. Mit soliden Blues-Rock starten wir in diesen dritten Tag und während die Backsratchers zu Höchstform auflaufen, treffen auch die fünf Rockabilly-Norweger ein. Die stürmen nach Beendigung des Auftritts sofort auf die Bühne und bedanken sich wortreich und mit vielen Umarmungen bei ihren Kollegen. Mit den fünf Gel-Rollen-Männer gibt es ursprünglichen Blues im Stil und Soundgewand der 40er und 50er. Die Band wurde von den beiden Brüdern Kent Erik (9Fingers) und Thomas Grim Thorvaldsen (Pee Wee) als The Nine Fingers Blues Band gegründet. 2016 Namensänderung, 2017 das Debüt Jelly Roll Shuffle, 2023 sind noch Petter Skoglund (Schlagzeug), Ole Martin Røsten (Kontrabass), Gitarrist Christian Øynes (Schoolboy), Øyvind Stølefjell (Piano), mit hier in Jeinsen. Gekleidet, frisiert und agierend wie in der Rockabilly-Zeit heizen sie den Zuschauern über eine Stunde ein. Auf der Tanzfläche neben der Bühne ist Partystimmung und mächtig Platzmangel. Danach geht es skandinavisch weiter mit Greger Knock-Out-Greg Andersson aus Stockholm. Der Blues-Harp-Man und Sänger ist ein Veteran, seit 1988 dabei und Aushängeschild der nordischen Bluesszene. Er übernimmt mühelos den Staffelstab der Norweger, begleitet mit seinem Quintett The Scandinavian Blue Flames das Publikum in die Nacht, spielt Blues, Power-Soul, Country & Western in vortrefflicher Weise. Neben seinem jüngeren Bruder Marcus Anderson (Schlagzeug) musizieren noch Lars Näsman am Akustik-Bass, der finnische Gitarrist Tomi Leino und der Pianist Fredrik von Werder in der Combo. Mit zwei erstklassigen nordischen Volltreffern ist das Qualitätsmaß schon extrem hoch gesetzt. Aber ich sage es gleich, mit der Bielefelder Blues-Tanz-Kapelle von Lohmann R&B Kapelle endet der Freitag wie der schon anfangs beschriebene Samstag mit den The Bluesanovas. Die acht Lohmanns, alle nicht verwandt oder verschwägert, spielen nicht nur Rhythm & Blues der 40er bis frühen 60er in Ultradruck, sondern auch die nähere und weitere Blues-Verwandtschaft kommt zu ihrem Recht: Swing, Rock’n’Roll, Soul, Ska, Surf-Musik, es ist alles dabei was gute Laune macht. Sie leben ihren Stil-Mix ungezügelt und ohne Kompromisse auf und vor der Bühne aus. Denn die reicht manchmal nicht, dann ist die Grenze zwischen Musikern und Publikum niedergerissen und es ist eine tobende Masse Menschen die zusammen feiern. Wer sich im Auge des Hurrikans befindet, wird unerbittlich in dieses Knäul hineingezogen. Ausruhen ist nicht, dafür sorgt ständiger Nachschub an bluesigen Krachern, der von der Big-Band pausenlos druckvoll nachgeliefert wird. Wer hier orthopädische Probleme hat, sollte hinten bei den kopfschüttelnden Sanitätern in Sicherheit bleiben.
Schauplatz Samstag 24. Juni – Vierseitenhof Kleuker 2
Vierseitenhof Kleukers 2 – Nach einer für viele Nachtschwärmer kurzen Pause und etwas Ruhe geht es auf dem Vierseitenhof Kleuker bereits in die vierte Runde. Mittags trudeln langsam wieder die ersten Gäste ein. Bei sommerlichen Wetter und bei Musik vom Berliner Duo The Juke Joint Smokers hat es den Eindruck man ist irgendwo in den US-Südstaaten bei einem typischen Dorffest der lokalen Rancher. Harp-Spieler Adam Sikora aus Polen und der italienische Multi-Instrumentalist Luis De Cicco bestreiten mit ihren fantastischen Kurzeinlagen an zwei Tagen das Programm zwischen den Bühnenauftritten und sorgen damit für kontinuierliches Blues-Futter. Manchmal kommt auch noch einer der Gäste zum Musizieren dazu. Mit der Magic Ed Combo (ehemals The Bootleggin' Hobos) nimmt die Blues-Party wieder Fahrt auf. Gitarren-Frontstimme Marcus „Ed“ Staab sowie Gerhard Philipp (Schlagzeug) und Basser Detlef Schmidt wirken wie aus einem Guss und können schon zum Frühschoppen vollends überzeugen. Mir hat dieser Auftritt des Dreigestirns aus Aschaffenburg wegen der handwerklichen Qualität und Präzision sehr gut gefallen. Zwar wird nun ein Gang runtergeschaltet, aber auch das Akustik-Duo Down Home Percolators fallen Qualitativ nicht ab. Das Frankfurter singende Blues-Duo Klaus „Mojo“ Kilian (Blues-Harp) und Bernd Simon (Gitarren) sind aus der Matchbox Bluesband hervorgegangen und begeistern seit über 20 Jahren mit ihrem dynamisch-kraftvollem, authentischen, akustischem Blues. Klaus arbeitet auch immer wieder mit vielen anderen Kollegen zusammen, wie beispielsweise auch in den verschiedenen Formationen von Blues-Urgestein Norbert Egger. Ich bin nun den vierten Tag wieder vollkommen in diese Blues-Welt abgetaucht, fühle mich heute wie vorher schon erwähnt im ländlichen US-Süden. Ich bin dort viel gereist, habe dort die wunderbarsten Landschaften genossen, dort die Kraft dieser Natur und auch deren Protagonisten gespürt. Inklusive deren wunderbaren Musik von Blues, Country und Jazz. Blues, Swing-Jazz, besonders Boogie Woogie und pure Lebensfreude das sind die wichtigen Zutaten beim erfahrenen Boogie Royale Trio. Das haben wir schon mit dem vielbeschäftigten Andreas Bock, der in Berlin lebenden schwedischen energischen Sängerin Viveca Lindhe und dem Pianisten K.C. Miller, am Vortag in der Kirche Sankt Georg schon zweimal erleben dürfen. Zusammen bringen die drei Blues-Profis, unterstützt von Harmonikaspieler Frank Rihm, handgemachte Musik ohne viel Elektronik auf die Bühne, alles tanzbar, konzertant und reich an Vielfalt. Ein Genuss und eine Freude, hier genießt das Publikum Boogie-Standards, Blues Hits und innovativ Neues erfrischend gut. Für die junge Hoffnung des Blues Till Seidel (Gitarre, Gesang) aus Hildesheim, der arbeitet auch mit Roger C. Wade im Duo It Takes Two zusammen, ist es praktisch ein Heimspiel. Dennoch muss auch er mit Dennis Koeckstadt (Piano, Orgel), Dirk Vollbrecht (Bass), Dennis Brendes (Schlagzeug) Vollgas geben um die Blues-Gemeinde in Jeinsen zu überzeugen. Und das Quartett schafft es leicht mit einem Potpourri aus seinen Veröffentlichungen King Of Lazy Man's Land (2017) und Get On Board (2020). Damit ist der Weg vorbereitet für die eingangs erwähnte Party mit dem dreifachen Gewinner des German-Blues-Award The Bluesanovas aus Münster und mit ihrem wie sie selbst sagen, zeitgemäßen Blues des 21. Jahrhunderts. Und dass sie den Blues haben, sieht man daran, dass diese junge Truppe vier gute Alben in vier Jahren veröffentlicht, damit eine enorme Fangemeinde aufgebaut haben und niemand geringerer als Eric Clapton die fünf Münsteraner für seine Deutschlandtour 2022 als Support-Act einladen hat. Mit kollektiven Feiern klingen vier schöne Tage beim Jeinser Blues Festival aus.
Hier beim Jeinsen Blues 2023 bekam der Slogan, dass ich das noch erleben durfte, eine besondere Bedeutung. Dieses bluesige Gesamtkonstrukt vier Tage mal in voller Fahrt erleben zu dürfen, war sehr beeindruckend. Alles berichtete sollte euch animiert haben vielleicht im Juni 2024 auch mal an einer oder allen der drei Spielstätten in Jeinsen vorbei zu schauen. Denn eigentlich hätte so eine vom Kollektiv mit enormen Arbeitsaufwand vorbereitete und durchgeführte Blues-Veranstaltung auf diesem Niveau mehr Besucher vor der Bühne verdient. [B_T: Roland Koch]
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