Donnerstag – Wir haben gut übernachtet und ausgiebig gefrühstückt, die Sonne steht schon wieder im Zenit und der erste Programmpunkt erwartet uns wie gewohnt auf der imposanten Waldbühne. Denn die nächsten drei Tage darf nun zwischen den drei Bühnen auf dem Areal rotiert werden und der Weckruf ertönt lautstark immer von der Wald-Bühne.
Der alterslose Elektrolurch Mani Neumeier, den haben wir mit Guru Guru ein paar Tage vorher beim Finkenbach Festival im Odenwald erlebt, hatte dort gesungen: „Living In The Woods.“ Eröffnet wird heute mit der geschäftstüchtigen und vielarbeitenden Finnin Erja Lyytinen aus Kuopio in Ostfinnland. Sie musiziert als Profi inzwischen fast 25 Jahre, ist eine der führenden Blues-Rock-Gitarristinnen auf dem internationalen Parkett, singt und spielt meisterlich die Slide-Gitarre und sogar Violine. Sie bringt Alben im Jahres-Rhythmus heraus und tourt regelmäßig. Jesse Lehto (Schlagzeug), Heikki Saarenkunnas (Bass) und Harri Taittonen (Keyboards, Hammond) sowie Techniker Uula Korhonen sind mit angereist und das Quartett bringt mit ihrem Repertoire aus überwiegend eigenem rockorientierten Material von Erja erfreulicherweise früh frischen Wind und ordentlich Bewegung auf das gut besuchte Gelände mitten im Wald. Aber auch auf der Bühne sieht man die Freude in den Gesichtern der Musiker, mit so einer Feierlaune der „frühen Vögel“ hatten sie hier wohl nicht gerechnet. Wenn wir die finnische Frontfrau auf der Bühne mit ihren Gitarren arbeiten sehen, glaubt man nicht, dass die Mutter von Zwillingssöhnen auch noch ein anderes Leben als Geschäftsfrau mit Format führt. Sie ist in Deutschland sehr beliebt, spielt hier öfter als in Schweden oder Norwegen und ist demnächst hierzulande wieder auf Tour.
Wie immer beim Woodstock Forever ist das Kreisen zwischen den Bühnen und schnelles umschalten auf andere Musikrichtungen normal. Wer möchte, erlebt Musik Non-Stopp, mit kleiner Ruhepause von acht Stunden zwischen 05:00 Uhr bis zum Ruf aus dem Wald. Unterwegs im Gelände kann man sich versorgen, die Händler besuchen, an Seminaren teilnehmen oder einfach nur relaxen. Namirí alias Multi-Instrumentalist Esteban Ariel Guiragossian aus Argentinien eröffnet diesmal auf der neu ausgerichteten Lift-Bühne. Hier konnte man mit spektakulärer Fernsicht den entspannenden Klängen lauschen und sich vorbereiten auf den langen Donnerstag im Auenland. Der großgewachsene Namirí ist tief in seinem südamerikanischen Erbe verwurzelt, deshalb greift er bei seiner Musik auch oft auf traditionelle, akustische, indigene Instrumente zurück, die in seiner Heimat über Generationen eine starke Rolle spielen und mit tiefen kulturellen Bedeutungen aufgeladen sind. Dazu gehören beispielsweise: verschiedene einheimische Flöten, Zupfinstrumente Charango, Cuatro und Ronroco, Trommel Djembé. Mit ihnen bildet und produziert Namirí seine besonderen Natur-Klänge und in Kombination von analogen und digitalen Instrumenten, Live-Looping, kreatives Mixing verbindet er zeitgemäße Komposition mit der Weisheit und Spiritualität seiner südamerikanischen Vorfahren. Und das klappt ausgezeichnet, ich erkenne schon von weitem wie eine große Traube Menschen friedlich und entspannt dem Vortrag von Namirí und einer Sängerin folgen. Auch ohne viel Personal oder Klanggewitter, wie die Trompeten von Jericho, ist eine Gemeinschaft auf einer spirituellen Klangreise entstanden.
Der tiefste Punkt auf dem Festival-Areal ist die Scheunenbühne. Die Besucher haben hier einen phänomenalen Blick wie bei einer klassischen Freilichtbühne, plus Fernsicht ins nahe Bayern. Hier ist über die letzten Jahre baulich immer etwas geändert worden, damit man dem zunehmenden Besucheraufkommen gerecht werden konnte. Dort unten vor der Bühne angekommen wird es dann wieder deutlich lauter, denn als Starter für die Scheunenbühne gibt es einen Frank Zappa Tribute, gespielt von der positiv-verrückten Truppe Frank Out! aus dem Hunsrück. Sie sind beim Woodstock Forever nach den Schweizern FiDO nun eine weitere Formation mit zappalesker Ausrichtung ihres Programms. Der pfälzische Zappa Thomas Jung (Keyboards) und seine fünf weiteren deutschen Musiker stehen ihren Kollegen dabei in nichts nach und beweisen, dass Zappas Musik jung geblieben ist und uns noch lange durch solche Formationen erhalten bleiben wird. Sind oben am Berg bei Namirí die Klang-Surfer auf ihre Kosten gekommen, haben an der Scheune die Liebhaber des frickeligen Rock ihr Musik-Futter bekommen. Ich greife vor, es wird wieder einmal für fast jeden Genre-Liebhaber etwas Passendes geboten. Auch für die jüngere Generation, beispielsweise mit Musenbiss oder Grusel Gewusel im Kinderland.
Und kaum haben die Pfälzer Mothers Of Invention ihren Schlussakkord gespielt, wird oben im Gelände vom Häuptling Michael Memm schon die nächste Band angesagt: „Wer sich bewegen will, bekommt jetzt Gelegenheit dazu.“ Die nächsten anderthalb Stunden stehen im Zeichen von „Positive Vibrations“ und Sommer-Party mit dem Multi-Kulti-Reggae-Weltmusik-Kollektiv Unojah. Ähnlich wie bei Bukahara, Orange oder The Magic Mumble Jumble soll die Musik hier nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Körper zelebriert werden. Da sich nun im zweistufigen Gelände vor der Bühne noch mehr Feierwütige eingefunden haben und die Herz-Kreislauf-Systeme stimuliert werden könnten, steht der gemeinsamen anderthalb Stunden Party nichts mehr im Wege. Frontmann Chaldun Schrade: „Wir möchten hier nicht nur Musik machen, wir möchten auf die Reise gehen, den Planeten in all seinen schönen Farben feiern“. Die vielfältigen Zutaten dieses bunten Cocktails sind Reggae, Ska, Latin, Pop, Folk, Hip-Hop, orientalische- und Welt-Musik, kombiniert mit spirituellen Texten in den dazu passenden Sprachen dieser Welt. Bassist Joshua Hengstler fällt für diesen Auftritt zwar aus, Keyboarder Nico Elble übernimmt den Tieftonbereich, aber auch mit Schlagzeuger Johannes Leuschner nur zu dritt verschmelzen sie Einflüsse verschiedener Volksgruppen und Kulturen. Unojah, aus dem sonnenverwöhnten Breisgau, feiern eine Vielfalt, die für sie essenziell für ein Zusammenleben ist. Eine Botschaft, die selten so relevant war wie im Moment.
Es ist erstaunlich, welche Bandbreite an Musik immer wieder von Melanie und Michael für die Thüringer-Musik-Festspiele jedes Jahr zusammengestellt und außerdem erfreulicherweise hier dabei auch keinerlei hierarchische Unterschiede gemacht werden. Mit der Fränkin Karin Rabhansl und ihren Mitspielern Julia „Jules“ Fischer (Keyboards, Gitarre, Gesang), Joschi Joachimsthaler (Gitarre, Gesang), Simon Weber (Schlagzeug, Gesang), geht es noch rockiger weiter. Fischer & Rabe haben schon als Akustik-Duo auf der Lift-Bühne gastiert, diesmal bringt Karin nun die komplette Mannschaft mit nach Waffenrod. Ihre inzwischen sechs Werke sind punkig-frech, stets humorvoll und oft im niederbayerischem Dialekt, eine charmante besondere Attitüde. Textlich geht es dabei oft um Alltägliches, beispielsweise wie bei Außeinander, um laut streitende Nachbarn, die Karin einmal abhielten ihr Buch weiterzulesen. Optisch ist das sympathische spielfreudige Rock-Quartett verbunden durch hochgezogene buntgestreifte Socken, ein begehrter Artikel später am Merch-Stand. Julia trägt auf ihrer Brust die Rolling Stones, Joschi dagegen Ozzy Osbourne. Eine große Verbeugung vor diesen Helden, die aber auch die Bandbreite zeigt die in ihre eigene Musik einfließt. Eine besondere Überraschung stellt eine starke Interpretation The Four Horsemen von Aphrodite’s Childs dar. Der 666-Klassiker von Demis Roussos und Vangelis hat 53 Jahre auf dem Buckel und bekommt von dem Quartett hier reichlich neues Leben eingehaucht. Leider verhindert zwar der Zeitplan weitere Zugaben, doch dafür zieht es viele zum Merchandise, wo eine fröhliche Karin Rabhansl schon mit den Ringelsöckchen wartet. Die digitalen Präsentationen und das Promo-Material ist bei Karin und auch Yasi Hofer erstklassig, zwei Kollektive von jungen Helden:innen von denen wir in naher Zukunft noch einiges hören und sehen werden.
Sänger Christian Ertl alias Chris Ellis und Gitarrist Edis Mano sind die Namensgeber dieser erst 2016 gegründeten, aber inzwischen sehr bekannten Schweizer Blues-Rock-Band. In freier Wildbahn ein überaus lebensfrohes Quintett, wie wir später hinter der Bühne feststellen. Chris und Edis haben noch Nico Looser (Schlagzeug), Severin Graf (Bass) und Lukas Bosshardt (Keyboards) mit in den Thüringer Wald gebracht und legen, kaum auf der Bühne angekommen, los wie ein eidgenössischer Trans-Europ-Express Gottardo. Die Ellis Mano Band haben wegen der Pandemie mit ihrem Blues, Jazz- und Soul-getränkten Rock leider nur begrenzt auf sich aufmerksam machen können. Dafür sind dann seit 2019 insgesamt sechs Alben erschienen, letztjährig Live: Access All Areas und aktuell Morph und sie haben mit ihren unzähligen Auftritten inzwischen eine enorme Reichweite in ganz Europa, erreichen damit die Blues-Völker die hungrig sind nach Klang-Futter. Und das bedienen sie mit reichlich eigenen Kompositionen in einem hochenergetischen Vortrag. Sie sind sichtlich gut eingespielt, harmonieren untereinander Schlafwandlerisch. Jeder Musiker hat auch seine Freiräume, kann alle seine Stärken als Solist demonstrieren auch ohne das Gesamtgefüge dafür zu opfern. Hier haben fünf erfahrene Musiker Live bestätigt, was sie bereits auf ihren Alben angekündigt haben, Blues-Rock hat auch eine Heimat in der Schweiz.
Während die Dunkelheit sich über das Gelände legt, wird oben auf der Waldbühne ein großer Name in den Topf geworfen. The Watch Plays Genesis sind ein Quintett aus Italien, die die Ära von Peter Gabriel und Steve Hackett wiederaufleben lassen. The Watch starteten dabei nicht als Tribute-Band. Als Sänger Simone Rossetti jedoch seine stimmliche Ähnlichkeit zu Gabriel feststellte, erwuchs das heute erfolgreiche Prinzip einer Tribute Show. Dabei sind sie in der Prog-Szene auch für ihre Vielzahl eigener Werke bekannt, die sich auch in die Live-Shows einschleichen. Die auf Deutsch einstudierte Begrüßung wird dankend angenommen. Die musikalischen Fähigkeiten der Band stehen außer Frage, Klassiker werden punktgenau nachgespielt. Bei emotionalen Titeln wie Carpet Crawlers bremst die technische Berechenbarkeit aber das eigentlich entscheidendere aus: Gefühl! Dennoch beeindruckend, wie die fünf Musiker im Scheinwerferlicht die siebziger Jahre über den Wald regnen lassen. Siehe weiter unten im Nachwort zur Halbzeit.
Mitternacht an der Scheune, Schalter auf Blues-Rock-Party. Wir haben die drei Niederländer schon getroffen und beim Technik-Check beobachtet. Das Trio steht schon in den Startlöchern, das Leslie der Hammond-Orgel rotiert trügerisch leise vor sich hin, jederzeit bereit sirenenhaft zu kreischen. Wir hatten bereits das Vergnügen DeWolff letztes Jahr beim Finkenbach Festival erleben zu dürfen. Dieses Triumvirat ist wie eine Dampflok unter Volldampf, die mit ihrer Mischung aus hochenergetischen, psychedelischen Blues- und Südstaaten-Rock sowie Funk & Soul jede Bühne der Welt sprichwörtlich in Flammen setzt. Bei ihrem ersten Plattenvertrag 2008 war das Trio gerade einmal zwischen 14 und 17 Lenze alt. Luka und Pablo van de Pol liefern dabei bis heute an Schlagzeug und Gitarren, sowie auch Gesang, ab. Orgel-Oktopus Robin Piso stellt dabei nicht nur die Hammond-Sounds bereit, sondern navigiert mit seinen vier Gliedmaßen auch noch das gesamte Bass-Fundament. An Kraft und Virtuosität mangelt es ihnen gewiss nicht. Orgel und Gitarre liefern sich Duelle, eh sie zusammen wieder Bewegung in die Beine der Zuschauer bringen. Dank ruhiger Momente und guter Dynamik ermüdet sich dieses Konzept kaum. Auch der überraschende, aber etwas erwahrtbare, Black-Sabbath-Klassiker War Pigs, mit großer Verbeugung vor dem kürzlich verstorbenen Ozzy Osbourne, steht ihnen verdächtig gut zu Gesicht. Dafür gibt es heute auch nur eine Zugabe. Das Geheimnis: Rosita erstreckt sich auf die nächsten dreißig Minuten, inklusive Pablo’s dazugehörigen Besuch in die ersten Reihen des jubelnden Publikums. Alle Register wurden gezogen. Feierabend! Robin’s Orgel atmet endlich durch, die Verstärker-Röhren kühlen ab. Im DJ-Bereich werden aber die Verstärker hochgefahren und die Feierbiester, die immer noch nicht genug haben, bis 05:00 Uhr morgens mit Musik bedient.
Als Nachwort zur Halbzeit nur noch kurz: Keine der am Mittwoch und Donnerstag aufgetretenen 11 Formationen hat überwiegend Cover-Songs gespielt, sondern, wenn überhaupt, wurde mal ein Klassiker wie beispielsweise The Four Horsemen (Karin Rabhansl Band) oder Johnny B. Goode (Sixty Amp Fuse Featuring Stephan Graf) völlig neu interpretiert. Einzige Ausnahme: The Watch hat ein Plays Genesis Programm gespielt, klebte mit ihren italienischen Interpretationen nahe am Original. Aber genau diese zeitlosen Titel haben sich Veranstalter Michael und tausend feiernde Fans vor der Bühne gewünscht. Gut gemacht Woodstock Forever, denn im Festival-Namen steckt schon ein seit fast dreißig Jahren gelebtes und erfolgreiches Markenzeichen, den musikalischen Helden; lebend oder schon im Rock-Olymp; Tribut zu zollen und sie für das Musikvolk unvergesslich zu machen !! Halbzeit-Pause, aber nur etwa acht Stunden. Die Berichte zur zweiten Spielzeit gibt es in Bericht Teil DREI und VIER !!
Bilder_Texte: Christa & Roland koch, Bilder DeWolff: Marvin Brauer, Christa & Roland Koch
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